Eine Hommage an die Schönheit (Oktober 2004)

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Kennt ihr das?

Kennt ihr diesen Pessimismus, der nicht resigniert, nicht nachgibt, der vor der Realität weder flieht noch in Deckung geht, sondern sich im Gegenteil durch die tragische Diskrepanz von Wirklichkeit und Vorstellung dazu angeregt fühlt, diese beiden Ebenen heroisch zu vereinen, auf das, was man träumt zur Wirklichkeit, was man will, zum Gesetz und was man tut, zur heroischen Selbstüberwindung werde? Ich sehe in die Welt und ich sehe dort viel Schlechtes, Verdorbenes, Gemeines, Verachtenswertes – ich finde diese Attribute auch in mir, um nicht zu sagen vor allem in mir - die Selbsterkenntnis ist der beste Weg, den Menschen an und für sich zu begreifen. Während ich mich aber beständig darum bemühe, von all diesen Dingen, die mich nur vermeintlich selbst betreffen, mir jedoch eigentlich unwesentlich sind, von all diesen Ideen, die mir mehr Schaden zufügen, als Nutzen bringen, zu befreien und gründlich im Geisteshaushalt aufzuräumen, scheint es die anderen gar nicht zu interessieren, welches Chaos von ineinander verschlungenen Empfindungen, welche Umwegigkeit notwendiger Wertschätzungen, welcher Überfluß an religiösen Vorstellungen in ihnen vorherrschend ist. Sie stellen sich auch niemals die Frage, weshalb sie so und nicht anders empfinden – ihre Empfindung scheint ihnen eine Selbstverständlichkeit, welche zu hinterfragen schlicht unnütz ist – in aller Unbeständigkeit und Umhergetriebenheit ihres Wollens erleben sie sich trotzallem als beständiges, als souveränes, als wollendes Ich.

Wir wollen uns aber nicht bei diesem Gekriech und Gewürm aufhalten – man tut sowas manchmal auf Kosten seiner eigenen Gesundheit. Was heutzutage wahrlich fehlt, dass ist jene Koexistenz von innerer, tragischer Tiefe und scharfsinnigem Aktionismus, ich meine jene dionysische, jene kämpferische Willkür, die beinahe beständig irgendein Geschenk an die Welt zu überreichen hat. Es ist die Verschmelzung von hintergründigem Inhalt und wirkunsvoller Formalität, es ist die Geburt des Lebenskünstlers, der es versteht, das Leben schöner, erträglicher, es wert- und sinnvoller zu gestalten – auch für andere.
Ich kenne Menschen, die einem auf verschiedenste Art und Weise Schönheit vermitteln können und nun nehmen wir doch bitte für einen Moment an, dass Schönheit, im Momente der Empfindung, die Sinnfrage des Lebens selbst aufhebt, dass Schönheit das Dasein rechtfertigen kann, wenn wir nur das Schöne, wo immer es sich zeigt, aufblühen und in uns hineinscheinen lassen wollen.
Vor allem im Frühling fühle ich mich von der Schönheit des Erdenlebens überwältigt. Alles blüht auf, das Leben macht einen neuen Versuch, alles scheint so wunderbar unvernünftig - gedankenloses Dahintreiben unter der sicheren Obhut der Mutter Natur, alles ist so unkriegerisch, so unschuldig und machtlos, keine Sorgen, keine Nöte, man fühlt das Kindliche, das Infantile, das hier in der Luft schwebt und einen selbst in eine irgendwie altbekannte Märchenwelt verzaubert.


Was ich jetzt eigentlich sagen will, ist:
Wieviele Menschen auf der Welt tragen eigentlich dazu bei, das Leben nicht nur ökonomischer oder wissenschaftlicher, sondern auch ästhetischer zu machen, die eigene Genialität auch in den Taten sehen zu lassen! - Und ich rede nicht von unseren verehrten Konventions-Künstlern, unseren populär-literarischen Zeitgenossen beispielsweise (man denke an Wolfgang Hohlbein), welche nur schreiben, um ihr Publikum mit bis zur Stumpfsinnigkeit getriebenen Naivität zu narkotisieren und sie von ihnen abhängig zu machen, die eine Regression, eine Verdummung der Menschheit gerne in Kauf nehmen würden, um dann noch mehr Ruhm und Geld für noch weniger kulturelle Dynamik zu erlangen. Man gestehe es sich doch ein!... Diese Dichter sind alle irgendwie naive Egoisten, alle so sehr in das Schöne verliebt, das sie das Hässliche, das Hilfe-Bedürftige gar nicht wahrnehmen, das sie mit erheucheltem Stolz darüber hinwegsehen, obwohl sie bei der Anwesenheit eines Anderen irgendwo aus ihrem tiefsten Innern vernehmen "Das bin doch ich! Das könnte doch ich sein!" - aber zu gefühlskalt, zu ignorant, zu unmusikalisch, um das Leid fremden, ja allen Daseins zu begreifen, zu affektiert auch, um mehr zu sein, als ein rein äußeres Leben. Sie erreichen den Urgrund unseres Wesens nicht, da sie ja nicht einmal ihren eigenen erreichen - sie sind in ihrem Inneren eigentlich auch leer, inhaltlich, substanziell gesehen, sie besitzen lebhafte Bilder und Vorstellungen, aber eigentlich ist da kein Leben, weil sie alles immer gleich nach außen vermitteln, es sofort loswerden, weil sie alles in Sekundenschnelle transfigurieren, in ihre eigene Sprache übersetzen, es abhandeln und beiseite legen. Sie könnten sich auch nie in einem Stile äußern, den jeder durchblicken würde – der Dichter verbirgt sich hinter den Worten, er macht sich einen Spaß daraus, selbst das größte Geheimnis zu bleiben, das hinter den Begriffsmauern auf seine Offenbarung wartet – meistens gibt es eine solche Offenbarung aber gar nicht, der Dichter riecht oft besser, als er schmeckt, und dann stellt man enttäuscht fest, dass man die ganze Zeit einem Trugbild, einer Maske, einer Farce, einer Posse nachgelaufen ist!
Ein Dichter empfindet sich selbst und seine Imaginationskraft als das eigentlich Intensive, das eigentlich Wesentliche – eine kritische Haltung gegenüber seinen eigenen Worten einzunehmen, würde seinen Redefluss, seiner rhethorischen Natürlichkeit schaden – Reflexion wäre das Ende seines Traumes. Er träumt gerne, er lebt doch von Träumen, er schreibt sie dann nieder und träumt weiter. Aber Träumer sind auch faul, sie sind zu bequem und phlegmatisch, um irgendeinen ihrer Träume auch mal umzusetzen - es bleibt bei einem sprunghaften Dilettantismus, ohne Treue, ohne Rechtschaffenheit gegen eine Idee.
Natürlich, und das ist sein Pluspunkt: Ein Dichter ist durch die Überzeugungskraft seines Selbstverständnisses, seines unbewussten, fast automatischen Täuschens und Illudierens ein Meister in der Fremdbeherrschung, auch in der Schöpfung neuer Werte, er ist die Hand, die den Würfel wirft und die Figuren in die gewünschte Richtung zieht – aber: ein Dichter kann sich selbst nicht beherrschen, er kennt sich selbst auch nicht gut, insofern ist er sehr oft Glücksspieler, wenn er die Gunst anderer erlangen will, er redet eben frei heraus und verlässt sich darauf, dass ihm zugehört wird und dass er einmal, wenn auch nur rein zufällig, Eindruck schindet. Wahrscheinlich, dass gerade dieser Mangel an Einsicht in die Kausalität der eigenen Persönlichkeit dafür ausschlaggebend ist, dass der Dichter so tatensüchtig, so umhertreiberisch, so dilettantisch, so jugendlich-naiv hoffnungsvoll ist.
Diese Keckheit des Begriffs, dieses absichtlich Ungenaue, Verschwommene, Surreale, dieses rücksichtlose Überspringen literarischer Normen, mit optimistischtem, mit jünglinghaftem Hochmut, Übermut, dieses In-die-Welt-hineinpreschen, sie verändern wollen, seine eigene Subjektivität zur Machtentfaltung treiben, das Bestehende durch schlichte Indifferenz und Ignoranz verdrängen und folglich alles, was zu schwach ist, überrollen, die Denkmäler der Alten umstoßen – und dennoch alles nur im Spiele, natürlich! - man nimmt es ja nicht ernst, man weiß ja gar nicht, was man anrichtet - man besitzt noch nicht die Weisheit dazu. Der dichterische Unverstand als die Rechtfertigung seiner Grausamkeit. Wer grausam ist, wer den Weg seines Glücks über tausend Leichen pflastern will, sollte, seiner selbst willen, dazu stehen, soll das Gefühl der eigenen Grausamkeit in sich nachwirken lassen, ohne Mitleid für die Opfern zu empfinden – alles andere wäre Selbstbetrug, alles andere wäre törichtes Sich-Vor-Sich-Selbst-Verschließen – die Enttäuschung folgt auf dem Fuße, die Fehleinschätzung des eigenen Selbst bleibt nie ungestraft.

Also: Schönheit? Ja, aber nicht auf diese barbarische, diese unkulturelle und rücksichtslose Art und Weise, in diesem bis zur Absurdität gehenden Dilettantismus, dieser bloß zeitgemäßen Wort-Freigiebigkeit, diesem schamlosen, disturbierenden Exhibitionismus des eigenen Charakters – all das ist ja doch gar nicht so selten bei uns, ich meine jetzt vor allem bei den nicht-schreibenden oder mit ihren Taten schreibenden Dichter, auf welche der Ausdruck Schauspieler wohl besser treffen würde. Wir erfahren diese Schauspieler zumeist als aufgeweckte, freche, extravertierte, viel-redende und viel-von-sich-gebende Menschen, als von vielen geliebte, von noch mehr gehasste Persönlichkeiten, als scharfsinnige, kluge Tat- und Wortmenschen, im starken Kontraste zu den Kopf- und Begriffsmenschen, den Philosophen, die lieber schweigen, als auch nur eines ihrer Geheimnisse öffentlich zu machen. In gewisser Weise sind sie stark, unsere Gesellschafts-Dichter und Schauspieler, in gewisser Hinsicht schaffen sie es immer wieder, uns heimlich in ihren Bann zu ziehen, in ihre Traumwelt zu zerren, uns zu zerstreuen. In gewisser Hinsicht sind sie auch stärker, als wir, die Skeptiker, die philosophischen Denker, die erst noch über das Gesagte reflektieren müssen, die das Gesagte in einem ganzheitlichen Kontext erfassen wollen – denn wir sind allzu langsam, allzu langweilig auch im Umgang, als das uns jemand wirklich zuhören wollte, als das uns jemand mit dem Ernste begegnen wollte, der uns gebührt, sind wie unscheinbare, enttäuschte Schildkrötchen, mit dicken Panzern, die sich mit allzu vernünftiger Bedachtsamkeit und stöhnender Vorsicht einen Weg durch den Sand bahnen. Natürlich - keiner ahnt, was wir in unserem Kopfe sind, wie oft wir als brennende Phönixe schon die gesamte Welt umrundet haben, wie viele Ungeheuer wir schon erschlagen, wie viele Gefahren wir überwinden mussten, in dieser Welt des Kopfes, in diesem Begriffsabenteuer namens Philosophie - aber wie soll man das auch ahnen, wenn wir uns, die Wirklichkeit verachtend, in unserem Panzer verbergen und das Geheimnis unserer Eigentlichkeit behüten, als würde es unter den Blicken der anderen zu Staub zerfallen. Glauben wir etwa, unsere Philosophie würde außerhalb unserer selbst nicht die rechte Würdigung erlangen, haben wir Angst, unserer Philosophie könnte sich unter dem Schein der sinnlichen Wirklichkeit als etwas Wirres, etwas Absurdes entpuppen, fürchten wir vielleicht, unser Geheimnis aus dem Dunklen ins Helle zu heben, nur weil wir es selbst nie im Hellen betrachten konnten? - Nun: So wird es Zeit! Zeit, die Probe aufs Exempel zu machen! Zeit, zu überprüfen, was die Philosophie an Wirkung in sich birgt, ob sie den Menschen überhaupt eine Richtung weisen kann, ob sie die Macht darüber hat, den Menschen zu verändern, ob sie ihn auch heilen kann - aber dies zu einem anderen Zeitpunkt.
Durch die Ignoranz gegenüber dem Schein und Verachtung unseres eigenen Scheines, machen wir uns keine Mühe damit, uns verständlich, uns lebensnah auszudrücken - wir gefallen uns selbst sehr gut dabei, die unmündigen Menschen durch irgendwelche spitzfindigen Sätze in Verwirrung zu treiben, fast als wollten wir uns über sie stellen und ihnen zurufen: "Hah! Wer steht nun oben?" Dadurch machen wir das Umfeld mürrisch, denn wo es Muße, wo es Freiheit von sich selbst haben will, dort weisen wir es wiederum nur auf sich selbst zurück, dort verlangen wir Reflexion, also nachdenkliche Befassung mit dem was wir gesagt haben. Der ästhetische Charakter, der sinnliche Mensch, gleichsam als der gesunde, ist es aber gewohnt, sich berieseln und den schmackhaften Regen auf der Zunge zergehen zu lassen. Was wir Philosophen mit unseren absoluten Urteilen eigentlich wollen, das ist – absolut ernst genommen zu werden, unser Verständnis einer Sache als absolutes Gesetz aufzustellen, wo nichts weggedacht, nichts ausgelassen werden darf, wo pathetischer Ernst verlangt wird, wo auch das Gefühl hinhalten muss, weil der Gedanke nicht stark genug ist, das erstrebte Ideal nachzubilden. Man muss aber durch und durch Masochist, man muss selbstlos, subjektlos, fast krankhaft selbstgehässig sein, um sich einfach so von einem Philosophen zureden zu lassen, um irgendwelchen Ideen die Macht über sich zu geben und daraufhin in die Untertänigkeit der grausamsten Begriffs-Götter zu fliehen.
Wie anders gibt sich aber hier die Wirkung eines Dichters. Dieser sagt: „Ich nehme von euch, was mir gefällt, und baue mir daraus meine Luftschlösser. Nehmt nun auch aus meinen Luftschlössern, was euch gefällt und tut damit, was immer ihr wollt.“ Insofern ist der Dichter wie ein selbstzufriedener Narr, dem das Urteil der Menge, auch das Gesetz der historisch bedingten Ideen und Hirngespinnste egal ist, während der Philosoph, sich wie ein unsicherer, schwächlicher König verhält, der von allen geachtet und anerkannt werden möchte, es aber gerade deswegen nicht zu Wege bringt, weil er sich selbst so verachtet - bei genauerer Betrachtung ein Teufelskreis. Es steht nun außer Frage, welcher von beiden genialer, welcher in seiner Subjektivität einzigartiger, welcher interessanter ist: Während der König, in seinem Drange nach Allgemeingültigkeit, jedem Recht geben möchte, während er alles zur Gleichheit verdammt, ja folglich gleichgültig macht und er selbst nur zu einem bloßen Werkzeuge, zu einem bloßen Objekte seiner übermächtigen Ideen, seiner geistigen Vorfahren mutiert, so ist der Narr, durch seine Narrenfreiheit, wie ein chaotischer Individualist, ein willkürlicher Beherrscher aller Instanzen, ein Wortverdreher, ein Spieler, der gar noch selbst die Regeln ändert, wenn es ihm passt, ein Tänzer, der so oft um Begrifflichkeiten herumläuft, bis diese sich, wie durch Schwindel erregt, ergeben und in seine Arme fallen. – Es steht also auch ganz außer Frage, welcher von beiden sich gesünder, welcher wirkunsvoller und dadurch mächtiger gibt. Es erklärt sich daraus auch, weshalb „Die Philosophen“ niemals „zu Königen“ geworden sind, wie es Platonin seinem fiktiven Staat konzipierte. Es fehlte ihnen erstens die Erkenntnis, dass alles, was existiert, nur als Erscheinung, als Phänomen existiert, und dass es daher auch keine größere Wahrheit, keinen größeren Wert geben kann, als die Realität – und es fehlte ihnen zweitens der Mut, zu ihren wirklichen Bedürfnissen, zu ihren wahren Trieben zu stehen und sie weniger als Laster, als als Motivation aufzufassen. All das verhinderte auch die Entstehung einer ästhetischen Philosophie, einer Philosophie, die sich nicht nur mit dem Schönen beschäftigt, die es nicht nur kategorisiert und sein Auftreten stigmatisiert, sondern die das Schöne auch erschafft, die überall nur Wertschätzungen der genüsslichen Ästhetik geltend machen will – und bedenken wir: vor allem die Schönheit litt unter dem Einfluß des Christentums und anderer Idealismen. Die Realität gilt dieser Religion als etwas Verächtliches, nein, schlimmer noch: als etwas Hassenswertes – und je mehr Genuss wir aus dem rein Materiellen beziehen, umso mehr verdienen wir es, „unchristlich“ und „sündhaft“ genannt zu werden. Das Schöne, als das Anziehende, das Besondere, das Einzigartige der Realität, ist der schlimmste Feind des Christentums – denn es macht deutlich, wie individuell, wie ungleichartig das Leben in sich sein kann, wie kein Moment dem nächsten gleicht. Wieso lässt es die göttliche Gerechtigkeit überhaupt zu, dass ich selbst so hässlich, dieser andere da so schön ist – hat Jesus nicht von der Gleichheit aller Menschen gesprochen? Also folgert der Christ: "Es muss etwas faul sein, an dieser Schönheit, es kann hier nicht mit rechten Dingen zugehen – Ja, die Schönheit ist falsch, weil sie mir vorlügt, sie sei erstrebenswert, während sie doch vor Gott etwas Nichtiges, etwas Wertloses, eben: etwas Reales ist." So geriet das Schöne, das Ästhetische bei den frommen Menschen in Verruf – und nicht nur bei ihnen: Auch der philosophische, auch der skeptische Mensch wurde von diesem Realitätshass, von diesem Hass gegen das Schöne befallen, auch er ließ nur noch Begrifflichkeiten, nur noch bloße Abstracta, also: nur noch das, was in seinen Augen gleich ist, gelten, während ihm das Besondere unwesentlich, akzidentell, substanzlos erschien.

Das Schöne ist aber nur durch seine Besonderheit schön, das Schöne wäre nicht schön, wenn es eine allgemeine Schönheit gäbe, sondern erst seine Subjektivität, seine unerklärliche Kasuistik, seine unwiderbrinliche Kontingenz, macht es schön – all das, was das Schöne als einen reinen Begriff disqualifiziert.


Hier geraten wir also an den Punkt, wo der Dichter und der Philosoph sich nach langen Zeiten des Kampfes, wieder versöhnen, wo sich die leidenschaftliche Subjektbejahung und der Einfallsreichtum des Dichters mit der tragischen Tiefgründigkeit und dem sokratischem Wahrheitswillen des Philosophen verbündet und eine Allianz des wollenden, des nichts als Ja-Sagen-Wollenden Lebens schließt. Wo der Philosoph sich mit seiner subjektiven Beschränktheit abgefunden hat, und der Dichter mit sich selbst abgeklärt wird, er sich selbst zu verstehen und beherrschen lernt, er begreift, dass er das Schöne auch durch das, was er eben nicht tut, beeinflußen, zu Entstehung und Blüte treiben kann.

Und wer nicht glauben will, dass nur das Schöne das Dasein in sich rechtfertigen kann, der soll sich selbst einmal die Frage stellen, wie das Leben sich vor ihm gebähren würde, wenn er sich kurz mal vorstellt, dass nichts Schönes, kein Moment der vollkommenen Empfindung mehr auf ihn warten würde, dass alles, was er fortan sieht, ihm entweder gleichgültig oder hässlich erscheinen würde, aber nichts mehr schön, keine Kunst mehr erregend, keine Musik mehr ergreifend, keine Frau mehr fatal, keine Kultur mehr lebendig, keine Sonnenuntergänge mehr sentimental, keine Taten mehr heroisch, keine Liebe mehr platonisch und kein Gedanke mehr melancholisch erscheinen würde, wenn fortan nichts übrig bliebe, als das bloß Pragmatische, der Fortschritt, der Wohlstand, die Wissenschaft, die zur Vollendung getriebene Instrumentalisierung der Menschen, als Arbeitstiere, als Produkte eines Organismus Menschheit, daneben nur die reine Lustbefriedigung, der blinde Hedonismus, Sex ohne Vorspiel, Glück auf Kommando, mittelmäßiger Frieden usw. - wenn er sich dann also ungefähr vorstellen kann, was das für sein Leben, für sein reales Dasein, bedeuten würde, ja wenn er sogar so weit kommt, sich vorzustellen, was das für die Menschheit bedeuten würde, so wird er begreifen, wie sehr doch die Schönheit das eigene Leben rechtfertigt, wie sehr sie das Recht für sich beansprucht, für das eigentlich Wertvolle gehalten zu werden, weil sie alle Absurdität, alle Qualen und alle Vergänglichkeit in den Hintergrund einer wundervollen Empfindung, einer tragischen Sehnsucht schiebt, weil sie einen dankbar gegenüber der Wirklichkeit stimmt, diesem ehemals besten Freunde des Menschen, den man auf so billige Art und Weise ausgestoßen und verraten hat.

(c) Philemon