Erstes Kapitel: Friedrich Nietzsches Leben

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1. FRIEDRICH NIETZSCHES LEBEN

AUFGANG UND UMNACHTUNG EINES GENIUS

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Friedrich Wilhelm Nietzsche wird am 15. Oktober 1844, als Sohn des protestantischen Dorfpfarrers Carl Ludwig Nietzsche und dessen Ehefrau Franziska, in Röcken bei Leipzig geboren. Die Erziehung ist streng christlich, fromm, von der Erwartung einer theologischen Laufbahn bestimmt. Der junge »Fritz« hört dem gebildeten Vater gerne bei musikalischen Improvisationen am Klavier zu, ansonsten ist der väterliche Kontakt eher spärlich, der Dorfpfarrer zu viel mit seinen Studien beschäftigt.

Der 14-jährige Nietzsche über seine Kindheit in Röcken: Verschiedne Eigenschaften entwickelten sich schon sehr frühe. So eine gewisse Ruhe und Schweigsamkeit, durch die ich mich von andern Kindern leicht fern hielt, dabei eine bisweilen ausbrechende Leidenschaftlichkeit. Von der Außenwelt unberührt lebte ich in einem glücklichen Familienkreis; das Dorf und die nächste Umgebung war meine Welt, alles Fernliegende ein mir unbekanntes Zauberreich.[1]

Am 30.Juli 1849 erliegt sein Vater einer schmerzhaften Geisteskrankheit (N. selbst nennt es »Gehirnerweichung«), 1850 stirbt sein nur zweijähriger Bruder Ludwig, 1855 die geliebte Tante, ein halbes Jahr darauf Großmutter Erdmuthe.[2] Nietzsche ist jedes Mal schwer erschüttert, die Todeserfahrungen verdüstern sein Wesen, drängen ihn nur noch mehr in die Abgeschiedenheit, er wird schwermütig, hat nur wenige Freunde, vertieft sich – wie sein Vater – am liebsten in literarische Studien und musikalische Kompositionen. Dazu kommt die spartanische Erziehung der Mutter, welche den Verlust des Vaters unbedingt durch übertriebene Strenge auszugleichen sucht. Nietzsche leidet darunter: Welche Marter für ein Kind, immer im Gegensatz zu seiner Mutter sich Gut und Böse anzusetzen und dort, wo es verehrt, gehöhnt und verachtet zu werden.[3] Auch die Schwester, Elisabeth, konstatiert: Wir sind nie durch Mutterliebe verweichlicht worden, wir fanden in unserer Mutter den strengsten Kritiker unserer Werke und Taten. »Wer soll es euch sagen, wenn ich es nicht tue?«, pflegte sie zu sagen [4]

Die Familie zieht nach Naumburg, wo Nietzsche kurzzeitig eine Knaben-Bürgerschule besucht. Dort wird »Fritz« für seinen Ernst und seine Nachdenklichkeit ebenso gehänselt, wie bewundert. Die Schüler nennen ihn den kleinen Pastor, wie seine Schwester erzählt, da er Bibelsprüche und geistliche Lieder einem derart vermitteln kann, dass man fast weinen muss.[5] 1856 – also mit 12 Jahren (!) – schreibt Nietzsche seine erste philosophische Abhandlung mit dem Namen »Vom Ursprung des Bösen«. Seine Notizhefte füllen sich mit Gedichten.

Im Oktober 1858 wird Nietzsche in Schulpforta, einem Elite-Internat im Saaletal, nahe bei Naumburg, aufgenommen. Das ehemalige Zisterzienserkloster ist berühmt dafür, eine der besten Gelehrtenschmieden Deutschlands zu sein.[6] Nietzsche findet sich dort sehr gut zurecht, gilt als Klassenprimus und brilliert vor allem in den humanistischen Fächern, also in Latein, Griechisch und Religion.

Am 15. Geburtstag notiert er: Mich hat jetzt ein ungemeiner Drang nach Erkenntniß, nach universeller Bildung ergriffen.[7] Selbst in den Ferien hat er nichts Besseres zu tun, als den ganzen Tag zu lernen, zu komponieren oder zu dichten. Er entdeckt Jean Paul, Friedrich Hölderlin, Shakespeare, lässt sich aber vor allem von dem als radikal und pietätlos verrufenen Lord Byron begeistern. Seine Beschreibungen des englischen Immoralisten könnten kaum hochtreibender sein: So besitze er den Sturmdrang eines Feuergeistes, eines Vulkans, der bald glühende Lava verheerend einherwälzt, bald, das Haupt umdüstert von Rauchwirbeln, in dumpfer, unheimlicher Ruhe auf die Gefilde herniederschaut, die seinen Fuß umkränzen.[8]

1862 gründet er zusammen mit einigen Freunden den Selbstbildungsverein »Germania«. Dabei stehe es jedem Teilnehmer frei eine musikalische Komposition, ein Gedicht oder eine Abhandlung zu liefern, sei aber verpflichtet, im Jahr mindestens 6 Abhandlungen anzufertigen, unter denen 2 Zeitgeschichte oder Zeitfragen behandeln müssen.[9] Im Rahmen dieses Vereins schreibt er auch die bedeutende Jugendschrift »Fatum und Geschichte«, von der später noch die Rede sein wird.

Nach dem Abitur ist N. Student der Theologie und Philosophie in Bonn, wohnt aber auch Vorlesungen der klassischen Philologie bei. 1865 entschließt er sich, nur noch klassische Philologie zu studieren und fährt hierzu nach Leipzig. Im Oktober entdeckt er das Hauptwerk Schopenhauers »Die Welt als Wille und Vorstellung« und ist überwältigt. Später beschreibt er dieses eingreifende Erlebnis: Das Bedürfnis nach Selbsterkenntniß, ja Selbstzernagung packte mich gewaltsam; Zeugen jenes Umschwunges sind mir noch jetzt die unruhigen, schwermüthigen Tagebuchblätter jener Zeit mit ihren nutzlosen Selbstanklagen und ihrem verzweifelten Aufschauen zur Heiligung und Umgestaltung des ganzen Menschenkerns.[10]

1866 macht Nietzsche die Bekanntschaft mit einem weiteren Schopenhauerianer, Erwin Rohde. Über ihn lernt er in Leipzig Richard Wagner kennen, den Nietzsche schon lange für sein tragisches Werk »Tristan und Isolde« bewundert. Seitdem ist er häufig Gast bei dem berühmten Opernkomponisten und seiner Frau Cosima Wagner in Tribschen, wo man von Nietzsches intellektuellen Fähigkeiten begeistert ist. Es entsteht eine tiefe Freundschaft zwischen ihnen, die ebenso geistiger, wie emotionaler Natur ist.

Nietzsche wird von Ritschl, einem Universitätsprofessor der von seinen Fähigkeiten überzeugt ist, für eine außerordentliche Professur der Klassischen Philologie vorgeschlagen. Dem erst 23-jährigen Nietzsche wird sogar ohne Promovation zugesagt.

In Basel befreundet er sich mit dem Kunsthistoriker Jacob Burckhardt.

1872 wird sein erstes großes Werk veröffentlicht: »Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik«, welche im wesentlichen von Wagner und Schopenhauer inspiriert wurde und beabsichtigt, eine kulturelle Renaissance der griechischen Tragödie zu inaugurieren. Wagner ist begeistert. Das philologische Gelehrtentum weniger. Nietzsche büßt mit einem Schlage seine bis dato positive Reputation als Philologe ein und verliert fast alle seine Studenten. Das Werk ist zu ausschweifend, zu romantisch, man begreift das Hintergründige seines philosophischen Standpunkts nicht, fühlt sich abgestoßen von seiner Wissenschafts- und Moralfeindlichkeit. Nietzsche ist enttäuscht, schreibt und publiziert aber weiter, ohne seine Tendenz zu assimilieren. Er will sich unbedingt selbst treu bleiben und glaubt, dass es das Schicksal einer jeden Genialität sei, die Meinung der Öffentlichkeit gegen sich zu haben. Seinem großen Vorbild Schopenhauer erging es schließlich nicht anders.

Innerhalb zweier Jahre veröffentlicht Nietzsche die Werke »Philosophie im tragischen Zeitalter der Griechen«, »Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne« und die drei ersten »Unzeitgemässen Betrachtungen«: »David Strauss, der Bekenner und Schriftsteller«, »Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben« und »Schopenhauer als Erzieher«. Der unsichtbare Bannfluch der Philologen besteht weiter. Die Studenten lassen sich nicht blicken. Nietzsche leidet immer häufiger unter Kopfschmerzen und Augenleiden.

1876 folgt die Veröffentlichung der »Vierten Unzeitgemässen Betrachtung: Richard Wagner in Bayreuth«, rechtzeitig zur Eröffnung der Bayreuther Festspiele. Nietzsche lernt den jüdischen Psychologen Paul Rée und die Schriftstellerin Malwida von Meysenburg kennen. Voller Erwartungen geht er zu den Festspielen, verspricht er sich von ihnen doch die große Inauguration der griechischen Wiedergeburt und das Ende der kulturellen Dekadenz. Aber er wird gleich von mehreren Seiten schwer enttäuscht. Wagner führt sich vor dem Kaiser auf, wie ein Schauspieler und schenkt dem in bürgerlicher Gesellschaft bedeutungslos gewordenen Nietzsche nur wenig Beachtung. Das Publikum interessiert sich viel mehr für die anschließenden Saufgelagen in den Bars und Cafés, als für die musikalischen Aufführungen auf der Bühne. Nietzsche zieht nach einigen Tagen gekränkt, und wirklich auch krank aus Bayreuth ab. Seine Erwartungen haben sich nicht erfüllt.

1878 bekommt Nietzsche das Textbuch für die von Wagner neu geschriebene Oper »Parsifal« zugeschickt. Sein Urteil fällt deutlich negativ aus: Alles zu christlich (...) lauter phantastische Psychologie (...) kein Fleisch und viel zu viel Blut (...) dann mag ich hysterische Frauenzimmer nicht.[11] Überhaupt erleidet seine Meinung über Wagner eine drastische Verschlechterung. Ebenso entdeckt Nietzsche die Differenzen zwischen seinem und Schopenhauers Denken. Er will endgültig Schluss machen mit jener metaphysischen Vernebelung alles Wahren und Einfachen und dem Kampf mit der Vernunft gegen die Vernunft, welcher in Allem und Jedem ein Wunder und Unding sehen will[12]. Zusammen mit dem psychologisch erfahrenen Paul Rée schreibt er das für seine bisherige Laufbahn völlig neuartige Werk »Menschliches Allzumenschliches«. Es ist das erste Buch, das im aphoristischen Stil geschrieben ist, jener Schreibart, welche Nietzsche den Rest seiner Geistesgeschichte beibehalten wird. Außerdem bezeichnet es die entschiedene Abkehr von aller Metaphysik und Kunstverherrlichung. Stattdessen rückt der Freigeist, ein Typus, der schon zur Zeit der französischen Moralisten eine Rolle spielte, in den Fokus der Betrachtung. Moral und Wissenschaft werden nicht im vorhinein abgelehnt, sondern einer strengen Kritik unterworfen.

Da sich sein Gesundheitszustand verschlechtert, wird er 1879, auf eigenem Wunsch hin, aus der Universität von Basel entlassen. Von nun an verbringt er seine Zeit gerne in italienischen Städten, wie Venedig, Sils Maria, Genua und Nizza, da das südliche Klima ihm mehr zusagt. Er veröffentlicht die »Morgenröte« und ein Jahr später die »Fröhliche Wissenschaft«. Über Rée lernt Nietzsche die gebildete und überdies gut aussehende Russin Lou Salomé kennen. Es folgen angeregte philosophische Gespräche, in denen sich Nietzsche zum ersten Mal wirklich verstanden fühlt. Er schreibt: Damals (...)  hatte ich bei mir in Aussicht genommen, Sie Schritt für Schritt bis zur letzten Consequenz meiner Philosophie zu führen – Sie als den ersten Menschen, den ich dazu tauglich hielt.[13] Er verliebt sich in sie und macht ihr gleich zwei Heiratsanträge, die sie aber beide ablehnt. Nach bewussten Intrigen seitens der eifersüchtigen Schwester Elisabeth, die großes Misstrauen zwischen Lou und Nietzsche säht, zerbricht die kurzzeitig so intensive Freundschaft. Etwa ein Jahr später, am 13. Februar 1883, stirbt auch noch Richard Wagner. Nietzsche ist verzweifelt, hält seine Familie – Mutter und Schwester – nicht länger aus[14] und zieht sich in die Einsamkeit zurück.

Dann die große Inspiration: In nur 10 Tagen verfasst Nietzsche den ersten Teil des Prosa-Werks »Also sprach Zarathustra«, in dem er den »Übermenschen« predigen will. Weitere drei Teile folgen in den nächsten zwei Jahren. Er selbst hält es für ein epochales Werk, bezeichnet es sogar als das tiefste Buch der Menschheit.[15] Leider ist man noch nicht fähig, an den Grund dieser Tiefe zu rücken: Das Spaaßhafteste, was ich erlebte war Burckhardts (Kunsthistoriker und guter Freund Nietzsches) Verlegenheit, mir etwas über den Zarathustra sagen zu müssen: er brachte nichts Anderes heraus als - »ob ich es nicht einmal mit dem Drama versuchen wolle«[16]

Zwischen 1886 und 1888 veröffentlicht Nietzsche die Werke »Jenseits von Gut und Böse«, »Genealogie der Moral«, »Götzendämmerung«, »Der Antichrist«, »Der Fall Wagner« und die autobiographische Schrift »Ecce homo«. Daneben schreibt er an einer Arbeit, die den provokanten Titel »Wille zur Macht. Versuch einer Umwerthung aller Werte« tragen soll, wird aber niemals damit fertig.

1889 erhält Jacob Burckhardt von Nietzsche einen sehr kuriosen Brief, worin steht: Zuletzt wäre ich sehr viel lieber Basler Professor als Gott; aber ich habe es nicht gewagt, meinen Privat-Egoismus so weit zu treiben, um seinetwegen die Schaffung der Welt zu unterlassen. Sie sehen, man muß Opfer bringen, wie und wo man lebt [17] Von dieser Nachricht leicht in Besorgnis versetzt, bittet er Overbeck Nietzsche in seine Obhut zu nehmen. Overbeck berichtet, nach der Reise zu Nietzsches Wohnsitz in Turin: Ich erblicke N. in einer Sofaecke kauernd und lesend (...) der unvergleichliche Meister des Ausdrucks, war ausserstande, selbst die Entzückungen seiner Frählichkeit anders als in den trivialsten Ausdrücken durch skurriles Tanzen und Springen wiederzugeben.[18]

Nietzsche wird in Basel in eine Nervenklinik eingewiesen. Man vermutet eine progressive Paralyse als Folge von Syphilis, wobei die Diagnose bis heute zweifelhaft und umstritten bleibt. Die letzten elf Jahre seines Lebens verbringt er in geistiger Umachtung zunächst in einer Irrenanstalt in Jena, dann bei seiner Mutter in Naumburg und zuletzt in der Villa Silberblick in Weimar, wo er nach dem Tod seiner Mutter von seiner Schwester gepflegt und wie ein Schaustück ausgestellt wird.[19]

Nietzsche stirbt dann am 25.August 1900.



[1] Nietzsche zitiert in Safranski R, „Nietzsche. Biographie seines Denkens“, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main, Oktober 22003, S.367

[2] Lisson F., „Friedrich Nietzsche“, Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2004, S.15

[3] N. zitiert in Köhler J., „Zarathustras Geheimnis“, Philipp Reclam jun. GmbH & Co., Stuttgart 1988, S.58

[4] Ross Werner, „Der ängstliche Adler“, Kastell Verlag GmbH, München, 1997/98, S.36

[5] Elisabeth Förster zitiert von Safranski R., S.368

[6] Lisson F., S.22

[7] Nietzsche zitiert von Safranski R., S.370

[8] Ross Werner, S.60

[9] N. zitiert von Safranski R., S.370

[10] Ebd. S. 372

 

[11] Nietzsche zitiert von Safranski R., S.380

[12] Ebd. S.138

[13] N. zitiert von Lisson F., S.15

[14] „Ich mag meine Mutter nicht, und die Stimme meiner Schester zu hören, macht mir Mißvergnügen, ich bin immer krank geworden, wenn ich mit ihnen zusammen war“ N. zitiert in Safranski R., S.380

[15] N. zitiert von Lisson F., S.139

[16] N. zitiert von Safranski R.,  S.384

[17] Ebd. S. 388

[18] Ebd. S. 388

[19] http://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_Nietzsche 10.02.05

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