Meine Welt liegt woanders (März 2004)

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Folgende Gedanken sind mir im Zuge einer Reflexion über die Faszination an der Philosophie gekommen, und was diese Faszination eigentlich auslöst. Das Ergebnis erscheint paradox, denn tatsächlich steckt hinter meiner Sucht nach dem Rationalen, das Irrationale selbst als Auslöser und Motiv.

Meine Welt liegt woanders, das spüre ich tief in mir drinnen. Meine Welt liegt in der Musik, in den Geschichten und Märchen, aber vor allem im Irrationalen der Philosophie, im Nicht-Sagbaren Wittgensteins. Ich glaube, dass ich nur begonnen habe, zu philosophieren, weil ich träumen wollte, weil ich bei Wörtern wie Ewigkeit, Vollkommenheit und Transzendenz den Hauch eines höheren Wesens, eines unfassbaren Gottes spürte. Natürlich traf ich nie den Entschluss, zu träumen, da ja die bewusste Gewissheit, die absichtliche Schöpfung eines Traumes, diesen ja auch schon verdirbt, beziehungsweise gar nicht erst in Erscheinung treten lässt. Viel eher glaubte und hoffte ich, glauben und hoffen zu dürfen, dass es da etwas gab, außerhalb dieses Lebens, außerhalb dieser beschränkten Welt, das unseren Wert zu bestimmen in der Lage war, denn in dieser Welt konnte etwas derartiges nicht existieren. Unsere Welt war eine rein zufällige Welt, an sich eine Zusammenballung von Wirkung und Ursache, ein einspuriges und sinnloses Im-Kreis-drehen, das sich um unsere euphemistischen Vorstellungen von Geburt und Tod einen Dreck kümmerte. Die Welt war nur ein Kontingent aus Tatsachen, und Tatsachen konnten weder Stütze der Ethik und Moral, noch des Ideals oder der Hoffnung sein.

Ich wäre vielleicht ein guter Christ geworden, ohne die Philosophie, oder ein frommer Moslem, ganz egal, das Grundstreben ist in jeder Religion dasselbe. Denken wir an etwas, das nicht in unserer Welt liegt, so verspüren wir eine ganz einzigartige Sehnsucht, als würden wir uns lediglich an alte Zeiten zurückerinnern, als ob allein der Gedanke an Drachen und Götter ganze Welten in uns zu Tage fördern wollte und dieses immanente Bedürfnis ein tröstendes Beben in uns auslösen würde, das uns Hoffnung zu geben in der Lage ist. Das Glück in einem solchen Moment der Imagination ist derartig vollkommen und erfüllend, dass es einem so vorkommt, als läge doch jedes Glück lediglich in dieser Verblendung über die Wirklichkeit, in dieser Mystifizierung des Realen, zu Gunsten eines Symbols, eines Wesens, eines Traums.

Wie stark dieses Streben nach Surrealität in uns verankert liegt, wird schon am Beispiele des Philosophen, des Religiösen, kurzum: des geistigen Idealisten deutlich. Dieser gleicht dem Läufer, der immer wie gebannt und mit erhobnem Kopfe auf den Horizont zuläuft, da er von dort die Anziehungskraft des Unbekannten und Mysteriösen verspürt. Dabei merkt er gar nicht, dass sich die Landschaft um ihn herum doch ständig verändert, er schon an etlichen Dingen vorbeigelaufen ist, ohne sich jemals wirklich so für sie faszinieren zu können, wie für die bloße Linie des inhaltslosen Horizontes selbst, der ihm die Sinne und den Verstand zu rauben scheint. Es ist eben nun mal eine Tatsache, dass in der Nähe alles etwas unspektakulärer und profaner aussieht, als in der Ferne. Die Frage, warum der Philosoph bei seiner Weltklugheit nicht einfach auf die Idee kommt, lediglich stehenzubleiben und den Horizont von einem ruhendem Punkte aus zu betrachten, ist ganz einfach zu beantworten. Würde er dies nämlich tun, müsste er ja gleichsam schon wissen, dass im Grunde gar nichts auf ihn wartet, und dass er umsonst über den gesamten Globus der Weisheit läuft, und würde er dies wissen, so wäre die Hoffnung in ihm gestorben und er hätte keinen Grund mehr, den Horizont zu betrachten.

Deshalb ist es besser er läuft, und isoliert sein Bewusstsein von der Außenwelt, wenn andere sich über ihn lustig machen oder über die Nutzlosigkeit seines Weges schimpfen, denn sobald er sich selbst und seinem Ideal nicht mehr treu sein kann, wird er alles verloren haben und er wird merken, dass es besser gewesen wäre, bis zu seinem Tode hoffnungsvoll umsonst gelaufen zu sein, als sich auch nur einmal zweifelnd von einer Enttäuschung beherrschen zu lassen, die doch genau so umsonst ist, wie alles andere.

Verflucht sei der Mensch, der als erster auf die Idee gekommen ist, statt der Statuette eines Gottes, die Wahrheit auf das Podest zu stellen, um sie anzubeten, verflucht sei er bis in alle Ewigkeit, auch wenn er wohl gar nicht gewusst haben möge, welch argen Fehler er damit begangen und dass er hiermit den Grundpfeiler des menschlichen Leidens in den Boden gestampft hat. Dadurch, dass die Menschen sich der Wahrheit verschrieben haben, büßten sie die Freiheit ihrer Gedanken ein und lieferten sich und ihre Wertvorstellungen einer eitlen Gesellschaft von angeblichen Wissenschaften aus, die einem diktierten, was man zu glauben, nein schlimmer noch: was man zu  w i s s e n  hatte. Während es früher die menschliche Intuition, die romantische Träumerei, die Hoffnung selbst war, die uns als Leitstern unseres Glücks dienten, so gaben wir dieses Glück auf, indem wir begannen einer scheinbaren Ordnung und Gesetzmäßigkeit unserer Wirklichkeit nachzuhetzen, die sich immer mehr ins Nichts aufzulösen schien, je näher wir an sie gelangten, bis schließlich nur noch eines gewiss war: Dass Gewissheit nicht existieren konnte.

So hat sich unser allmächtiger Gott endlich selbst inkreditiert, indem er herausfand, dass es ihn gar nicht geben dürfte, dass er völlig fehl am Platze war, in den Herzen der Menschheit, und ihnen nichts geben konnte, was sie auf lange Zeit glücklich machen würde.

Warum ich das alles erzähle? Vielleicht, weil ich weiß, dass ich nicht der einzige bin, dem es so geht wie mir. Vielleicht auch, weil ich mir ziemlich sicher bin, dass andere genau so an der Diskrepanz zwischen Realität und Surrealität leiden und stetig hin- und hergerissen werden, zwischen der Hoffnung auf ein Jenseits, ein besseres Leben nach dem Tode, und der Enttäuschung, wenn man realisieren muss, dass dies gewiss nie der Fall sein wird, dass alle Fakten gegen oder zumindest nicht für eine solche Möglichkeit sprechen und wir deshalb das einzige aufgeben müssen, was allein den Wert in sich selbst trägt: Die Hoffnung.

Ich könnte weinen, nur deswegen, dabei weiß ich, dass es doch eigentlich lächerlich wäre, wegen einer solch abstrakten Angelegenheit seine Tränen zu vergießen. Gleichzeitig frage ich mich aber, welche konkrete Schwierigkeit, welches Familiendilemma, welche Naturkatastrophe, welche Armut eines ganzen Staates so schlimm und des Weinens wert sein könnte, wie die unnötige Verzweiflung einer unnötigen Existenz an sich selbst.

 

 

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