Dialog zur Erkenntnis über die Rechtfertigung der Philosophie (Dezember 2003)

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Skeptiker: Wie kann der Philosoph die Philosophie philosophisch rechtfertigen?

Realist: Indem er sagt, die Philosophie dient der Erforschung der Wahrheit

Skeptiker. Worin liegt aber die Rechtfertigung der Erforschung der Wahrheit?

Realist: Darin, dass die Wahrheit den Menschen dazu verhilft, ihr Leben richtig zu führen und das Wesen ihres Lebens zu verstehen.

Skeptiker: Hätten die Menschen denn nicht auch ohne die Philosophie geglaubt, dass sie ihr Leben richtig führen und das Wesen ihres Lebens begreifen?

Realist: Sie hätten sich ohne die Philosophie nicht einmal die Frage gestellt, ob sie ihr Leben im richtigen Sinne führen oder das Wesen ihres Lebens richtig begreifen.

Skeptiker: Bitte definieren sie mir den Begriff »Richtig«, damit ich ihre Aussage auch richtig verstehen kann, denn er sagt mir nichts, außer, dass er ein Begriff ohne objektiven Gehalt ist.

Realist: Richtig ist, was sich so verhält, dass es dem Wunsch einer gewissen Instanz entspricht.

Skeptiker: Wer ist aber in unserem Falle die Instanz?

Realist: Natürlich die Menschheit.

Skeptiker: Sie meinen also, die Menschheit sei aufgrund der Philosophie in der Lage dazu, zu bestimmen, was für die Menschheit gut ist.

Realist: Exakt.

Skeptiker: Allein, ich habe sie um eine philosophische Rechtfertigung gebeten, also um eine weitestgehend objektive, die sich nicht auf die Sicht der Menschheit beschränkt, sondern die Bedeutung der Philosophie in einem abstrakten Sinne auffasst, die aus der Relation zur Gesamtheit aller uns bekannten Verhältnisse resultiert.

Realist: Das war meine objektive Meinung und nur, weil es ausschließlich für den Menschen sinnvoll ist, heißt es nicht, dass es im philosophischen Sinne nicht sinnvoll, ergo absurd sein muss. Natürlich postuliere ich aus Sicht der Menschheit, da ich als Mensch zu gar nichts anderem in der Lage bin und in der Perspektive unserer Gattung gefangen bleibe.

Skeptiker: Sie sagen, für den Menschen sei es sinnvoll, nach der Wahrheit zu suchen. Das bedeutet, er muss aus der Wahrheit, welche die Philosophie ihm bieten kann, profitieren können, sonst könnte sie für ihn nicht sinnvoll sein.

Realist: Die Philosophie ist sinnvoll da sie dem Menschen die Wahrheit offenbart.

Skeptiker: Sie sagen anders formuliert gerade, die Suche nach der Wahrheit sei sinnvoll, da sie dem Menschen die Wahrheit offenbart. Das wäre ebenso als wenn ein Seefahrer, nachdem seine Gattin ihn gefragt hat, was denn seine Rechtfertigung sei, am selbigen Tage noch auf Schatzsuche zu gehen, antworten würde, er müsse es tun, um den Schatz zu finden, was ja, wie Sie wohl erkennen werden, keine Antwort im Sinne der Fragestellung sein kann.

Realist: Die Wahrheitsfindung ist den Menschen ein Bedürfnis. Sie sind nun mal eben neugierige Wesen, wobei einige von ihnen, der Sucht nach den Erkenntnissen über die wesentlichen Zusammenhänge zum Opfer gefallen sind.

Skeptiker: Doch ist das Bedürfnis alleine keine Rechtfertigung, wenn das Bedürfnis selber sich nicht rechtfertigen kann

Realist: Der Mensch wird nur dann glücklich, wenn er seinen Bedürfnisse erfüllt sieht. Darin liegt der Sinn der Erfüllung unserer Bedürfnisse. Und ich hoffe, Sie werden einsehen, dass das Glück keiner philosophischen Rechtfertigung bedarf, sondern es ganz natürlich das höchste Gefühl jedes Wesens ist.

Skeptiker: Abgesehen davon, dass mit zahlreichen Argumenten auch an der Sinnhaftigkeit des menschlichen Glücks gezweifelt werden könnte, will ich doch meinen, dass das Philosophieren dem Menschen noch nie glücklich gemacht hat. Eher im Gegenteil leiden die meisten Philosophen an Depressionen und Melancholie, was eindeutig mit ihrer Säkularisierung der Wahrheit zu tun hat. Allein das Geheimnisvolle, das Rätsel, das Wunder, das Ungewisse, das Ferne hat etwas Heiliges. Nur die Illusion, die Einbildung, die Träumerei, die irrationale Vorstellung reizt unser Gemüt und macht uns glücklich, weil gerade darin unsere Ideale liegen, welche unser Unbewusstsein, welches nur so danach lechzt, sich die Wahrheit aus eigen vorhandenen Symbolen selber zu bilden, geschaffen hat.

Hingegen die Fakten, die Begründungen, die Antworten, die Erklärungen, die Sachverhalte haben allemal etwas Interessantes, Wissenswertes, jedoch nichts Erfreuliches, solange sie sich nicht direkt auf unseren eigenen Willen beziehen, was in der Philosophie ja eben zumeist nicht der Fall ist.

Ein Beispiel: Meistens, wenn wir ein Buch kaufen, das sehr schön eingebunden ist, so bilden wir uns zuerst allerhand ein, was darin stehen könnte, wenn wir nicht sofort dazu in der Lage sind, es zu lesen. Beginnen wir aber darin zu blättern, und lesen uns langsam über alle Seiten bis zum Ende, so sind wir eigentlich im Insgesamten darüber enttäuscht, dass das Buch unseren Erwartungen nicht entspricht. Das Buch besitzt dann eine völlig neue Bedeutung für uns, die uns aber durch die Tatsächlichkeit ihrer Worte aufgedrängt wurde.  Aber eigentlich wäre uns die zuerst vermutete Bedeutung viel lieber gewesen, da sie in uns unbewusste Ideale wachgerufen hat, die unser Gemüt positiv anregen konnten.

Ich meine also behaupten zu können, dass die Philosophie unmöglich dazu da sein kann, die Menschen glücklich zu machen, da durch die Profanität jeder Wahrheit, das Gegenteil auftritt und jeder wahre Philosoph dies auch in seinem eigenen Exempel bestätigt findet. Auch ist der Philosoph nicht jemand, dem das Leben leichter fallen würde. Denn, da er ja eigentlich mehr an moralischem und abstraktem Wissen in sich versammelt, als der bornierte Mensch, lebt er in ständiger Angst, seinem, bis in andere Dimensionen reichendem, Freudschen Über-Ich nicht gerecht werden zu können. Vor allem, weil er sich über jede Kleinigkeit Gedanken machen muss, nimmt er die Objekte nicht so wahr, wie sie eigentlich ihrer kollektiven Bestimmung nach wahrgenommen werden sollten, weshalb er auch oft Schwierigkeiten damit hat, mit diesen, mögen es Lebewesen oder Dinge sein, umzugehen. Er interpretiert an einer Stelle zu viel, und übersieht dadurch an anderen Stellen das eigentlich Wesentliche. Weder seinem Umfeld kann sein Wissen über die Philosophie etwas bringen, da dieses seine Worte ja nicht einmal richtig nachvollziehen kann und ihn meist nur schräg ansieht, da es glaubt, seine Intention bestünde darin, sich selbst wichtig zu machen; noch ihm selber kann das philosophische Wissen etwas bringen, da  sein gesamtes Traumvermögen, seine Irrationalität und seine Fantasie, mithin all seine Glücksquellen, unter Fußtritten der Tatsachen und der Skepsis erstickt werden und es also eindeutig so scheint, als wäre jede philosophische Erkenntnis nur dazu da, dass eine andere in Konsequenz daraus gezogen werden kann. Was uns aber einer Antwort meiner Frage keinen Schritt näher bringt, wie Sie hoffentlich einsehen werden.

Realist: Da bin ich nicht so ganz ihrer Meinung, denn immer noch bleibt ja die Frage, weshalb der Mensch sich mit der Philosophie beschäftigt, wenn er doch ganz genau bemerken sollte, dass sie ihm kein Glück, sondern nur Unheil versprechendes Wissen bieten kann, was ich, um ehrlich zu sein, nicht wirklich glaube. Denn kennen Sie nicht dieses erhebende Gefühl, wenn sich vor Ihnen eine fremde, rätselhafte und von Wundern nur so belebte Landschaft erstreckt, die nur so danach ruft, von Ihren Augen und Ohren erforscht und erkundet zu werden?  Ist es nicht unsere Pflicht einem solchen Ruf zu folgen, und die zahlreichen neuen Erkenntnisse, welche wir aus der Expedition ziehen, in verständlichen und ordnenden Worten zu dokumentieren, auf das es unserer Nachwelt leichter fällt, sich in diesem überirdischen Gebiet des eminenten Geistes zurechtzufinden und neue Wege zu neuen Landschaften zu entdecken? Ist es nicht gänzlich unangebracht, hier nach einem pragmatischen Sinn zu fragen?

Skeptiker: Natürlich ist die fremde Landschaft wundervoll und reizend, solange sie fremd bleibt, doch stochern wir dort erst mal mit unseren Messgeräten herum und treten die Blumen dort zu Tode, so hinterlassen wir am Ende nichts als eine verwüstete, missbrauchte, in unsere Sicht der Dinge gequetschte, furchtbar rationalisierte Welt, die für uns nichts an Reiz mehr besitzt, denn wie gesagt, erweckt nur das Unbekannte unsere Sehnsucht, da in ihm unsere Ideale der Transzendenz genügend Platz haben, während das gänzlich Bekannte in seiner Profanität, nur als Mittel weiterer Erkenntnisse zählen kann, aber selbst nichts besitzt, das unseren Blick darauf ziehen könnte. Es ist also ganz offensichtlich die blinde, sehnsüchtige Neugier des Menschen, welche für sein Philosophieren verantwortlich ist, nicht aber seine Rationalität, die im Grunde gerade der Aspekt ist, die ihm alles verdirbt. Wie sonst könnte man erklären, dass jeder Anhänger einer Religion, im Innersten glücklich ist, obgleich er sich jede Frage nur mit Gott beantwortet, während der Anhänger einer Philosophie, der dafür bekannt ist, sich mit Begriffen wie Gott nicht zufrieden zu geben, sondern alles rational zu zergliedern und zu ordnen, im Innersten unglücklich ist. Denn der Glaube an Gott, anders ausgedrückt: die gedankliche Akzeptanz des Symbols, des Archetypus von Gott, in unserem kollektivem Unbewusstsein, ist das, was uns eigentlich glücklich macht. Nicht aber der Glaube daran, dass es keinen Gott gibt, welcher zwar unserer Rationalität genügen möge, nicht aber unserer Glückseligkeit.

Realist: Dies klingt ja alles so, als könnte es bei unserer Suche nach der Wahrheit jemals zu einem Ende kommen, welches die Vernichtung unseres symbolischen Unbewusstseins bedeuten würde. Alleine das ist nicht der Fall und kann es auch nie werden, denn jede Erkenntnis, die auf uns trifft, hält weitere Fragen für uns bereit, die abermals die Faszination in uns auslösen, welche wir für deren Beantwortung bitter nötig haben. So bleibt immer genügend Freiraum für unser transzendentes Denken und für unsere Fantasie, die also durch das Philosophieren nicht zerstört werden kann.

Skeptiker: Tatsache ist aber, dass reine Philosophen unglücklicher sind, als reine Christen und, dass es auch für unser Unbewusstsein immer schwerer wird, noch etwas Fantastisches oder Romantisches für uns bereit zu halten, da eben die Philosophie nichts mit Träumen, sondern nur mit Tatsachen etwas anfangen kann. Das Philosophieren erscheint mir also nicht gerechtfertigter, als das Einnehmen von Rauschgiftmitteln, da den Philosophen, wie den Abhängigen, nichts anderes mehr fesseln kann, als die eigentlich Ursache seines Unheils, die sich nur im Momente des Konsums als wunderbar manifestiert, aber welche ihn dann im Alltag, wohin der Süchtige immer wieder zurückgedrängt wird und wo leider die Quintessenz seines Lebens steckt, an der Reizlosigkeit und Unwesentlichkeit des Wirklichen zu Grunde gehen lässt. Was fange ich also mit einer Weisheit an, die ja doch von keinem gebilligt, geschweige denn bewundert wird, und mich selbst nur im hohen Maße unglücklich macht, da sie alles in eine furchtbar rationalistische Ordnung drängt, wo das Träumen keinen Platz hat. Wo liegt der Sinn des Erkennens, wenn doch die Entscheidungen, welche man trifft, einen genau so wenig zufrieden stellen, wie die Entscheidungen, welche man getroffen hätte, wäre man in der »Norm« geblieben. Die Kluft zwischen Realität und Ideal bleibt gleich, wird manchmal bei dem philosophischen Gemüt sogar noch erheblich größer, da durch das Aufblasen des Ideals zu einer riesigen Masse aus Moral, Konsequenz und Weisheit, doch das reale Ausführungsvermögen nur wenig zunimmt, sodass der Größenunterschied uns tagtäglich enttäuscht und wir meinen, dass nichts uns gelingen möge, und dass wir den geistig stumpfen Menschen in nichts voraus sind, außer in dem Glauben, nicht zu ihnen zu gehören.

Realist: Trotz allem ist es unsere Bestimmung der Wahrheit zu folgen und zu versuchen, sie aufzudecken. Nie hat die Philosophie behauptet, sie könne den Menschen glücklich machen, nie war es ihre Absicht dies zu vermögen. Einzig ihr geht es um die Erforschung der Wesentlichkeiten, der Frage nach dem Sinn, welche sich jedem Menschen, früher oder später, aufdrängt. Zwar wiegt der Mensch an sich nicht mehr, wenn er philosophiert, doch denke ich schon, dass die Meinung eines einzigen weisen Philosophen um ein Vielfaches mehr zählt, als die Ansicht tausender Stumpfsinnigen zusammen. Es ist also unsere Aufgabe, nicht nur die Welt und ihre Schöpfungen nach ihrer Sinnhaftigkeit zu befragen, sondern vor allem auch die Handlungen der Menschen, die Politik, die Gesellschaft, die Produkte des menschlichen Daseins, all das, was, wenn es nicht unter der Aufsicht der Weisen stünde, sich unverweigerlich bis zu unserer Vernichtung entwickeln würde, da niemand darauf Acht gäbe, was gewisse Veränderungen, für manche Menschen, mit sich bringen. So hat auch die Moral ihren Sinn und, obgleich sie nicht die Entwickler der Moral glücklich machen kann, so verhindert sie zumindest, dass die Schwächeren unserer Gesellschaft unglücklich gemacht werden, sodass wir also sagen können, die Philosophie macht glücklich, nur nicht den, welcher sich mit ihr beschäftigt.

 

 

 

 

 

(c) by Philemon