Über das Genie (März 2003)

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Angenommen, es gäbe tatsächlich so etwas wie geniale Menschen, und nicht etwa lediglich geniale Werke, die durch eine Fügung des glücklichen Zufalls, den Zeitgeist an einer Stelle treffen konnten, an welcher er positiv dafür disponiert war, so könnte man verschiedene Kriterien dafür aufstellen, welche ein solches Genie erfüllen müsse.
 

1) Objektivität im Sinne Schopenhauers.

Das bedeutet: Die Fähigkeit sich im Objekte der Vorstellung soweit zu verlieren, dass man sich selbst und seine physischen Bedürfnisse dabei vergisst, sowie auch den Drang zu verspüren, ein rein intellektuelles, nicht auf den Willen bezogenenes Werk zu schaffen, das weder der menschlichen Lebenserhaltung, noch irgendeinem anderen außerintellektuellen Fortschritt dient. Somit kann also ein Naturwissenschaflter, genau so wenig, wie ein politischer Idealist, jemals den Rang eines Genies erlangen, da sich deren Absicht eindeutig auf die Verbesserung menschlicher Lebenslagen bezieht, jedoch nicht auf das Objekt ihrer Anschauung selbst. (Demnach waren weder Karl Marx, noch Friedrich Engels Genies, da sie einem deutlichen Zweck und Ideal gefolgt sind, einer praktischen Absicht, die sich auf den Wohlstand der Menschen bezogen hat)

2) Zeitlosigkeit, Unbedingtheit und allgemeine Gültigkeit der Ideenwelt

Ein Genie muss außerdem, sollte die Sprache es zu dem machen, was es ist, die Fähigkeit haben, aus der Erfahrung zu abstrahieren, bzw. abstrakter Ideen und Konzepte fähig sein, um so die Menschen allerorts und zu allen Zeiten berühren zu können, weshalb wir auch jetzt noch in der Lage dazu sind, die Worte längst verstorbener griechischer Philosophen nachzuvollziehen, die in abstrakten Ideen überhaupt erst ihre Daseinsberechtigung finden, während uns konkrete Erlebnisschilderungen aus dem Mittelalter, viel zu fremd erscheinen, als das wir mehr darin finden könnten, als einen gewissen menschlichen Kern, der sich aber auch in einem einzelnen, bedeutungslosen Wort finden ließe.
Es wäre also gar nicht so abwegig zu behaupten, dass die Philosophie die höchste Form der Genialität ist, indem sie sich vor allem rein abstrakten Begriffen bedient.
Sogar die Musik, die ja keine Begriffe von Nöten hat, um genial zu sein, ist abstrakt, indem sie nämlich an allen Orten und zu jeder Zeit auf die selbe allgemein gültige Art und Weise verstanden werden kann.

3) Subjektivität im Sinne Carl Gustav Jungs

Ist nur scheinbar ein Gegensatz zu der Objektivität Schopenhauers, da hiermit keineswegs die Tendenz zur Ausrichtung des Intellekts auf die niederen Bedürfnisse des eigenen Willens gemeint ist, sondern lediglich eine gewisse Unkonventionalität im Weltverständnis, sowie ein von der Masse der Gesellschaft stark abweichendes Urteilsvermögen, welches jene Dinge zu sehen in der Lage ist, welche den meisten anderen verborgen bleiben. Die Tatsache, dass das Publikum dennoch von den Werken eines derartigen Genius beeindruckt ist, lässt sich wahrscheinlich hiedurch erklären, dass den Menschen das Unbekannte schon immer sehr gelegen war, da es einen günstigen Wechsel zu ihrem monotonen Alltag liefern konnte, sowie ihnen auch etwas von der Tiefe der Welt empfangen ließ, deren Oberfläche sie bereits überdrüßig geworden sind.
Der Grund, weshalb viele Genies zur Zeit ihres eigentlichen Wirkens so gering geschätzt werden, während sie lange nach ihrem Tod, mit umso größerer Hingabe besondere Ehrerbietung erlangen, liegt einerseits in der Angewohnheit der Menschen, von Toten mehr zu halten, als von Lebenden (vermutlich weil man bei ersteren ein geringeres Risiko als bei letzteren eingeht, sich mit dem Fanatismus einer Person zu schmücken, welche später ein Schwandwerk begehen könnte), und andererseits an der schlichten Verständnislosigkeit der Genialität gegenüber, sodass die Menschheit immer erst eine Zeit lang zu benötigen scheint, um endlich irgendwann in der Lage dazu zu sein, dahinterzukommen, was es an den Werken eines bestimmten Geistes eigentlich hat.

Obwohl ein gewisses Talent doch von Nöten ist, um den Ideen den rechten Ausdruck zu verleihen, so ist Begabung dennoch viel häufiger anzutreffen, als wahre Genialität, woraus sich deduzieren lässt, dass das eigentlich Geniale woanders liegen muss, als lediglich in der Fähigkeit, schön klingende Worte formulieren zu können oder die Töne am Instrument richtig zu treffen. Man könnte es so ausdrücken:
Das Talent, bzw. der Intellekt ist das Formgebende der Genialität, das Verdeutlichende, welches ein Verstehen erleichtert.
Der bloße Inhalt jedoch, die Bedeutung einer Allegorie, die Innovation einer Melodie, die Singularität einer Idee, all das sind Anzeichen von Genialität, der bloße Begriff einer Sache also, welcher noch gar nicht erst woanders Niederschlag gefunden hat, als in der Gedankenwelt des Menschen selbst, der reine Einfall, zu dem sich noch kein Wort dazugesellt hat, all dies kann schon genial sein, sodass ich also glaube, dass es auch unter den Ungebildetsten und vermeintlich Geisteskranken geniale Geister gibt, denen nur die rechte Form fehlt, in welcher sie ihre Ideen verständlich machen können.

(c) by Philemon