Das Ziel der Menschheit (Mai 2004)

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Da die Moral mehr oder weniger auf dem Geschmack des Moralisierenden basiert, muss die Wahrheit um das Ziel des Menschen unmoralisch, also ungesetzlich sein. Ungesetzlich aber ist nur die vom Selbstbewusstsein ausgehende Freiheit, also unser Wille, der selbst nichts anderes als Freiheit darstellt. Die moralischen Gesetze, welche uns auferlegt werden, stellen lediglich den akzidentellen und kontingenten Inhalt dar, die Freiheit jedoch bildet den Raum für all unsere Idealismen und Glaubensrichtungen, also die Form unseres Lebens.

Gäbe es einen objektiven Richter, und wäre dieser der Herrscher über die Philosophie, und der Stern, an welchem wir uns zu orientieren haben, so wäre diesem doch völlig gleichgültig, WELCHE Wege wir einschlagen, WIE wir die Dinge handhaben, an WAS wir glauben. Interessieren würde er sich gewiss alleine für die zugrundeliegenden Prinzipien, gemäß welchen wir uns verhalten. Und das eben wichtigste Prinzip des Menschen ist seine Freiheit, nämlich die Freiheit wie sie alleine im Für-sich seiner Existenz begründet liegt, in seinem Geiste, jedoch im an-sich, nur durch seine Taten beobachtet werden kann, also zwar nicht unmittelbar, jedoch als weitere Konsequenz seiner Freiheit.

Ich will damit aber nicht sagen, dass es sinnlos wäre sich mit der Moral auseinanderzusetzen oder beispielsweise eine bessere Politik anzustreben, alleine spielen diese Dinge in der philosophischen Frage des menschliches Zieles keine wesentliche Rolle, da es sich bei jenem um etwas Zeitloses handeln muss, um ein Prinzip also, das nicht den Zufällen der menschlichen Kultur-Evolution überlassen werden kann, sondern im ewigen unabänderlichen Wesen, im Charakter des Menschen liegen muss. Dort aber finde ich nur einen Willen, der je nach Individuum in alle möglichen Seiten strebt, der teils gutmütig, teils boshaft, teils höflich, teils rücksichtslos, teils sozial, teils eigensinnig, teils optimistisch, teils pessimistisch, teils ehrgeizig, teils weltmüde, teils spirítuell, teils vernünftig, teils tolerant, teils feindselig, kurz gesagt: der nicht festlegbar ist, auf irgendeine bestimmte Ausrichtung, der zumeist auch gar nicht festgelegt werden möchte, weil er nur so Freiheit bleiben kann, nämlich in seiner wollenden Willkür.

Ihr fragt, was das Ziel des Menschen ist?

Wisst ihr denn überhaupt, was euer eigenes Ziel ist, was ihr euch in eurem Leben wünscht, was euer Wille, eure Freiheit will?
- Nein?
Und dann beschäftigt ihr euch mit dem Ziele eurer Gattung? Welch infantiler Ehrgeiz.

- Oder, doch? Ihr wisst es?
Na bitte, nichts anderes sollte für euch von Interesse sein, als alleine, was ihr selbst wollt, und nichts anderes sollt ihr tun, als alleine was ihr selbst tun wollt. Doch wichtig ist hierbei, dass ihr eure Vernunft einsetzt, dass euer Ideal ein geistiges und kein körperliches ist, denn der Körper ist in seinem Tun so selbstsicher, wie er kurzsichtig ist, hingegen der Geist verspricht euch Zufriedenheit, wenn ihr ihn richtig auf eure Wirklichkeit hin anwendet.


Nicht also der kategorische Imperativ, auch nicht der Übermensch kann das Ziel des Menschen sein, sondern alleine er selbst ist es, in seiner individuellen Freiheit, in seiner ewigen Reflexion, in seinem unaufhörlichen Wandel, dort liegt sein Wesen, dort muss auch sein Ziel sein.

 

 

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Ich zürne nicht mehr der Verständnislosigkeit der Menschheit. Ich müsste mir selbst zürnen, wenn ich sie nicht verstehen würde. Ich hoffe nur noch, dass sie irgendwann begreifen wird, dass es uns um das Leben, das irdische Leben zu tun ist, und nicht um irgendein Jenseits, oder die Wahrheit oder das Auffinden derselben, auch nicht um die Humanität an sich, die Moral an sich, den Fortschritt an sich, die Historie an sich, die Philosophie an sich, die Wissenschaft an sich, das Glück an sich, der Nutzen an sich oder dergleichen stumpfsinnigen An-sichs, von denen es leider so viele gibt.

Wir sollten nichts mehr anstreben, das nicht wenigstens indirekt unserem Leben oder dem Leben anderer dient. Wir sollten verachten, was das Leben und das Bild des Lebens, worin ich keinen Unterschied sehe, herunterziehen möchte, den philosophischen Pessimismus genau so wie die reduktionistische Naturwissenschaft. Wenn wir begreifen, dass Wahrheit eine sokratische Lüge und Gott eine obsolete Illusion ist, dann werden wir aufhören, so unvernünftig zu sein, unseren Geist so verderben und unser Seele so schwächen zu lassen. Wir werden nur mehr daraufhinarbeiten, den Menschen resoluter, ihn geistreicher und widerstandsfähiger, selbstbewusster und willensstärker, exzentrischer und schöner zu machen, und dennoch auch: gerechter, toleranter, verständnisvoller für das andere, das fremde Verständnis. Wir werden vor allem gerne dabei zusehen, wie die immer vielfältiger werdende Individualität, einem buntem Blumenmeer gleich, vor uns aufblüht und den Menschen vermittels der historischen und literarischen Überlieferung mit einer solchen Vielfalt an Ideen und Wertschätzungen ausstattet, dass er nie wieder eine Hungersnot an Sinnhaftigkeit und Bedeutung in dieser Welt erleiden wird.

Wäre das nicht schön? – Aber ein Traum, Utopie... eine Illusion, die unser Handeln, unser beständiges Versuchen am Leben erhalten soll, auf das unser Stolpern uns nicht zur Resignation zwingt... nicht mehr sind diese Worte. Und trotzdem: Weshalb das eine verneinen, wenn wir bereits das Schwesterchen, die Illusion bejahen – was ich sagen will: weshalb die Hoffnung verneinen, wo sie doch das Einzige ist, was uns nicht mehr absurd, sondern sinnvoll erscheint?

(c) by Philemon