Über die Werte (Juni 2004)

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Die folgenden Textstellen über die menschlichen Werte dienen nicht alleine der Desillusion obsolet gewordener Normen, sondern auch der Forderung eines neuen Ideals, welches teilweise sehr an Nietzsche und seinen "Übermenschen" erinnern dürfte. Ich will aber hinzufügen, dass ich nicht mit allen Meinungen des deutschen Philosophen konform bin und dass auch Abschweifungen von seiner Sicht der Dinge in diesen Aphorismen zu finden sein werden, sowie stellenweise auch Erweiterungen dieser.
 

Aber sicherlich: Leere Lobpreisungen, Träumereien, idealistische Vorstellungen des Unsichtbaren, Romantizismen, Hymnen auf allmächtige Götter, Propagierung des Guten, - all das war der Menschheit schon immer mehr wert, als das best geführte Wort, das treffendste Argument und das redlichste Werk, denn es ist eben nun mal eine Tatsache, dass die Wahrheit weder erhaben, noch großartig, weder überirdisch noch gottähnlich ist, sondern eben trist, profan und zumeist sogar äußerst langweilig.

 

 

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Gott hat uns gezähmt, domestiziert, uns an goldene Ketten gelegt - verdient er deshalb, verehrt zu werden? Dadurch, dass wir uns unter die Knechtschaft eines illusionären Wesens begeben haben, verloren wir nicht nur unsere Eigenständigkeit, wir züchteten uns auch eine Art schlechtes Gewissen, das bereits die Grundstimmung der Menschheit geworden ist, ein Gefühl der inneren Leere und Verzweiflung, vor allem ein Gefühl der Schuld, der Sündhaftigkeit.
Religion ist Selbstdemütigung, Masochismus in größter Ordnung. Und dies soll gesund sein?

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Gewiss, noch leiden wir an der Enttäuschung, die wir durch das Erkennen der Nicht-Existenz Gottes, der Nicht-Existenz eines Jenseits, der Nicht-Existenz eines Überirdischen, erfahren müssen, denn wir alle haben uns schon so sehr mit der Vorstellung eines Gottes angefreundet, dass sein Tod schmerzlich, ja unerträglich wirken muss. Jedoch würden wir schon bei der Täuschung selbst NEIN sagen, schon die Geburt eines Gottes im Bewusstsein unserer Gattung ablehnen, würden wir unsere Kinder bereits atheistisch, also gottlos erziehen (es wird Zeit, dass letztere Begriffe ihre negative Behaftung verlieren), ihnen sagen: "Gewiss gibt es etwas Höheres als uns, aber wir wissen nichts, rein gar nichts davon", so könnte ich mir nur schwerlich vorstellen, dass unsere Kinder, also all die uns folgenden Generationen, dasselbe durchleiden müssten, wie wir.

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Nennt mich stolz, nennt mich einen hochmütigen Atheisten, der es verdient mit seiner Einstellung alleine da zu stehen - all das, würde mich glücklich machen, wüsste ich nicht, dass jene Bezeichnungen leider nicht auf mich zutreffen, da auch ich von jener Kränklichkeit, von jener Demut, jenem schlechten Gewissen befallen bin, das mir vom Christentum indoktriniert wurde und dass ich jetzt nicht mehr losbekomme, obwohl ich es verzweifelt versuche.

Doch wahrlich, es wird Zeit den Menschen wieder zu einer stolzen, zu einer hochmütigen, einer selbstbewussten Art zu machen, es wird Zeit, die alten Götzenbilder und Kirchen zu zerschlagen, auf das nie wieder welche errichtet werden, denn der Mensch muss nichts verehren, er muss nichts anbeten, er muss sich nicht demütigen, denn all dies schadet ihm nur selbst und bringt keinem was. Haben Götter, gesetzt es gäbe sie, es denn überhaupt nötig, Bestätigung von uns zu erlangen? Brauchen sie denn wirklich kleines Getier, wie den Menschen, um an sich selbst glauben zu können? - Oh, ich vermute es, denn sie würden verschwinden, sobald wir nicht mehr an sie glauben würden, sie wären fort, von einem Tag auf den nächsten, wenn sie denn überhaupt einmal da gewesen sind. Und so etwas nennt sich Gott? So etwas Schwächliches, von unserem Glauben Abhängiges, von außen Definiertes, nennt sich allmächtig?

Oh ja, die Götter sind hochmütig, doch es steckt nichts hinter ihrem Hochmut.

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Wir Menschen wollen weder reflexive Aufklärung, noch wollen wir Bewusstsein unserer eigenen Unzulänglichkeit. Gewiss, was sollte diese auch bringen, werden wir doch immer in irgendeiner Art und Weise unzulänglich bleiben, ohne es ändern zu können. Schließlich steigt ja das Bewusstsein unserer Unzulänglichkeit mit der Zulänglichkeit unseres Bewusstseins. Die Sache ist folglich absolut relativ, warum sich also überhaupt noch um die Ent-täuschung kümmern, wenn die Täuschung sich doch niemals aus unserem Wesen entfernen wird?
Vielleicht weil es doch einen Unterschied macht, ob wir uns mit den Dingen, wie sie im Moment bestehen, zufrieden geben wollen oder sie ändern möchten. Und der Fortschritt war schon immer Sache der Unzufriedenen, nicht der Zufriedenen.

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Das Glück wird nun überall gepredigt, das Wohlsein als das einzig Erstrebenswerte an das Tor der Zukunft geschlagen, nicht die Erkenntnis, nicht die Aufklärung. Die Vernunft soll alleine der Erlangung nach Zufriedenheit zu Gute kommen, nicht aber darf sie autonom werden und zu einem Selbstzweck mutieren - so schreit es aus allen Ecken und Enden der modernen Gesellschaft. Die Frage, wieso nicht, erübrigt sich. Das Gute am Glück ist selbstverständlich, es verlangt nach keiner Rechtfertigung. Was aber, wenn man sich damit nicht zufrieden geben will, wenn man den Epikureismus als blind, den Hedonismus als egozentrisch verurteilen möchte? Ist man deswegen vielleicht verrückt? Man müsste es doch sein, wenn Glück sich derart von selbst verstünde.

Oft denke ich mir: Wenn das Glück tatsächlich der Sinn des Lebens wäre, so wäre es doch viel besser gar nicht zu leben, denn die Glücklichsten sind noch immer die Toten.
Außerdem: Glück kann nicht angestrebt werden, kann zu keinem Ideal ausgerufen werden, denn es kommt und geht zusammen mit den Umständen, die es herbeirufen. Dazu folgendes Sprichwort von Kierkegaard :
"Ach, die Tür zum Glück geht nicht nach innen auf, man kann sie nicht aufdrücken, wenn man auf sie losstürmt, sie geht nach außen auf, und man kann daher gar nichts tun"
Wenn aber Glück nichts aktiv Erreichbares, sondern lediglich etwas passiv Erhältliches ist, so stellt sich die Frage, wo der Mensch nun seine Werte festnageln soll, denn der Zufall kann es wohl kaum sein.

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Ich glaube, dass es gerade jener furchtbare Zustand unserer Existenz ist, jener Moment, in dem sich der Mensch im Zuge seiner Enttäuschung gegen sich selbst richtet, dessen Bewältigung uns zu einer anderen, zu einer besseren Art Mensch machen wird. Die Geschichte hat gezeigt, dass der Mensch früher oder später mit all seinen Widrigkeiten fertig wird, er jedes mal als ein anderes Wesen aus dem Nebel seines Schmerzes tritt und dabei stärker, mächtiger, vorbereiteter erscheint, als zuvor. Nur, dass es dieses Mal der Mensch selbst ist, der überwunden werden muss, ist das eigentlich Interessante, das eigentlich Wunderliche der Natur: Die Existenz, welche sich gegen sich selbst richtet - Haben wir etwas derartiges schon erleben dürfen, werden wir es überhaupt jemals erleben?

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Es erscheint mir klar, dass jener angepriesene Zustand kommen wird, kommen muss, als letzte Konsequenz des Sterbens aller Werte. Wer dieses Ereignis nicht absieht, ist selbst noch verblendet, versucht selbst noch Dinge am Leben zu erhalten, festzuhalten, die über die Jahrhunderte schon alt und gebrechlich geworden sind, die ihren ehemaligen Nutzen dem bloßen Schein verkauft haben, die es gar nicht mehr wert sind, noch als Werte bezeichnet zu werden.

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Ich weiß doch, dass der Mensch im Grunde keine Wahl hat, keine Schuld trägt. Was ich verurteile, das sind seine Werte, seine Verblendung über die Wirklichkeit, seine Naivität, seine Unredlichkeit - aber all das sind lediglich seine Attribute, all das IST nicht er selbst, all das ist nicht der Mensch schlechthin, denn auch wenn er sich damit identifizieren mag, ich identifiziere ihn nicht mit solchen Schlechtigkeiten, die seiner nicht würdig sind. Der Mensch, seinem Wesen und nicht seinem Schein nach, ist in meinen Augen eine zu bejahende Möglichkeit, eine Brücke, die über sich selbst, zum anderen, zum zukünftigen Ufer führen soll, ein mir verwandtes Wesen, ja ER ist ICH, im Grunde, SEIN Leid ist auch das Meinige. Ich will sagen: Ich liebe den Menschen, aber ich vertrage seinen verseuchten Atem nicht, verachte seine Attitüde, seine Mythen, all das, was er sich zum eigenen Wohlsein angeeignet hat, im Laufe seines Lebens, all sein Spielzeug, seine Bilderbuchwelt, seine infantile Mittelmäßigkeit, seinen naiven Lebensdrang. Aber trotz allem würde ich mich nicht so in Rage versetzen lassen, wenn ich nicht die Hoffnung hätte, dass er sich ändern wird, irgendwann, dass es endlich erwachsen wird, dieses Kind, dieses unterhaltungssüchtige, spielsüchtige, naive Kind, dass es endlich lernt, Verantwortung zu übernehmen, selbständig, frei zu werden.

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Ich verspreche den Menschen kein Glück, keinen Lohn, ja nicht einmal Weisheit. Ich will nur zu Nichte machen, was seinem Weg zur Erkenntnis hinderlich ist, will nur zerstören, was seinen Blick auf das Diesseits verhindert (denn es ist das Jenseits, in welches er beständig blickt), ich will ihn nur ent-täuschen, damit er selbst schlussendlich s e i n e n Weg beschreitet und nicht den Weg, auf den andere ihn zerren möchten - denn diesen Weg muss er alleine gehen: ohne Gesellschaft, ohne Religion, ja sogar ohne Philosophie. Wieso? Weil es notwendig ist, dass er zu  s i c h  kommt, und weil niemand ihn dorthin begleiten kann.

 

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Oh, ich weiß, dass die Menschen nichts von ihrer Unwissenheit wissen wollen. Aber geht es hier darum, was die Menschen wollen? Wollten die Menschen nicht auch den ersten Weltkrieg, aus Unwissenheit, da niemand mehr anwesend war, der wusste, was es bedeuten würde, zu kämpfen und im Kampf sich selbst und andere sterben zu sehen? War Unwissenheit jemals für einen anderen nützlich, als für den Unwissenden selbst? Wissen wir, ob nicht andere unter unserer Unwissenheit leiden, und nur zu schüchtern sind, zu ängstlich, um auf diese Lücke des Wissens aufmerksam zu machen? Welcher wahrhaft Leidende will schon, dass andere von seinem Leid erfahren? Und dennoch wäre es besser für ihn, sie merkten es. Sagt nicht das christliche Ideal selbst: Geteiltes Leid ist halbes Leid? - Warum will es dann nichts vom Leid wissen? Wie soll es Leid dann überhaupt teilen können? Mit Glaubensreden versucht es den Schmerz zu betäuben, aber eben dies funktioniert nicht bei jedem. Was ist aber mit diesen Einsamen, Ungläubigen, an dem Unverständnis der anderen Leidenden? - Ist es wirklich recht zu behaupten: "Sie sind selbst schuld!" - nur weil sie nicht glauben können, mit was der Zeitgeist die Masse infiziert und in ihren Bannkreis gezogen hat? - Ist dies Gerechtigkeit?

(c) by Philemon