An die Religionsphilosophen (September 2004)

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Ich frage mich, was ihr religiösen Quacksalber überhaupt in einer Geisteswissenschaft verloren habt, in der doch der Großteil ihrer Anhänger durchaus noch bestrebt ist, so etwas wie die Wahrheit zu finden, während ihr demütigen Nachredner obsoleter Institutionen euch tatsächlich einbildet, die Wahrheit sozusagen mit dem Löffel gefressen zu haben, sodass ihr euch auch die Anmaßung erlaubt, uns mit eurem wiedergekäuten, hundertmal verdauten Hirngespinnsten das Leben schwer zu machen.
Seht doch ein, dass die Philosophie für euch nicht mehr zu gewinnen ist, dass diese Geisteswissenschaft überhaupt erst aus dem Bestreben entstanden ist, der mythologischen Welterklärung zu entfliehen und sich in eine befreiende Souveränität zu wagen, wo die Vernunft der einzige "Gott" ist, dem man zu gehorchen hat.
Ihr kämpft eine verlorene Schlacht, eure Schwerter teilen nur noch Luft und Wasser, eure Worte verschallen im Nichts, ohne etwas anderes zu erzeugen, als mitleidige Verachtung, ihr tanzt zu der Musik längst verhallter Klänge, ihr schlägt euch Rippen und Nieren ein, als Zeichen eurer Ehrfurcht, als Zeichen eurer Demut, kurz: als Zeichen eurer endlosen Dummheit; und trotzdem: es will sich keiner mehr darum kümmern, die rege Betriebschaft, der ständige Stress des modernen Arbeitsmenschen lässt keine Zeit für religiöse Muße - Glaube ist jetzt nur mehr Konvention, ebenso wie das sonntägliche Kirchengehen, das Heiraten, das Kinder-Taufen - alles nur Schein, alles nur ein nettes Kostüm, das sich das moderne Individuum anlegt, um als braver Mensch, als seriöser Mensch zu gelten.
Selbst eure Gegner laufen vor euch davon, nicht aus Furcht, sondern aus Ekel vor eurer Schwäche, aus Überdruß an eurer einfältigen Polemik - man nimmt euch nicht mehr ernst genug, um mit euch zu kämpfen, man hat das Gefühl, seine kostbare Zeit zu verschwenden. Von euch geht keine Gefahr mehr aus, vor euch erzittert man nicht mehr, wie früher, eure Macht fliegt dahin, die Jugend glaubt jetzt an den Fortschritt, an die Wissenschaft, an den Erfolg, sie glaubt vor allem an sich selbst, aber Gott? Christentum? Islam? - sie lachen über euch, hört ihr nicht, wie sie lachen?, in naher Zukunft werden die meisten Witze so beginnen "Sagt ein Christ zu einem Moslem...", schließlich wird man die Existenz eurer Götter gerade für so wahr halten, wie man es jetzt mit den griechischen Göttern des Olymps tut.
Aber, was erzähl ich euch, was kümmert euch die Zukunft, was kümmert euch die Menschheit im Allgemeinen?, ihr seht ja doch nur eines: eure einfältige Seligkeit, das große Glück, sich selbst gerecht und gut, selbstlos und beschützt fühlen zu dürfen, nicht mehr nachdenken zu müssen, weil man die Wahrheit schon in seinem Besitz wähnt, dann: das "Jenseits", das "ewige Leben", alles Begriffe, die sich aus einem zum Himmel stinkenden Egoismus ergeben haben. Man will ewig leben - und das soll altruistisch genannt werden?
Argumente habt ihr keine, ihr habt nur euren Glauben. Ihr hält vor allem so an eurer Überzeugung fest, weil jene euch glücklich macht, oder besser: weil ihr glaubt, dass sie euch glücklich macht.
Euer Axiom, besser: euer Dogma lautet: "Was mich selig macht, muss wahr sein. Der Glaube an Gott macht mich selig - Gott muss wahr sein, er muss existieren, weil es nicht sein kann, dass die Welt will, dass ich unglücklich bin"
Und nun glaubt mir, dass auch ich glücklich bin, glücklicher wahrscheinlich als ihr, weil es nichts mehr gibt, vor dem ich Angst habe, denn, um mit Max Stirner zu reden: "Ich hab' mein Sach' auf nichts gestellt" - auf keine Moral, auf keine Wahrheit, auf keinen Glauben an ein Leben nach dem Tod. Freilich, es waren lange Phasen der Qual und Selbstläuterung von Nöten, um den ganzen religiösen Dreck zu entfernen, der in allen Rillen meines geistigen Korpus verteilt war, aber jetzt: ich fühle mich freier denn je, ich fühle mich erfüllt, in meiner eigensten Individualität, ich sehe, wie der blaue Himmel mich wieder anlacht, leer zwar, aber bereit, sich mit eigensten Bedeutungen und Sinnhaftigkeiten anfüllen zu lassen, ich weiß jetzt, dass es keine heiligen Pflichten mehr gibt, und dass der moralische Wert meiner Taten jetzt um Unendliches gestiegen ist, weil ich nun nicht mehr aus Ehrfurcht vor irgendeinem "letzten Gericht", sondern aus absoluter Freiwilligkeit handle - Könnt ihr das auch von euch behaupten?

Um diesen Beitrag, der wieder einmal viel zu lang geworden ist, abzuschließen und um auch die Qualen eines jeden religösen Lesers, der nun den schmerzhaften Dorn seines Irrtums gefühlt haben dürfte, ohne sich dessen bewusst zu sein, zu beenden, weise ich nur daraufhin, dass jene geschriebenen Worte nur denjenigen gelten, die sich einen Reim daraus machen können, während ich den anderen "Wahrheitsbesessenen", oh pardon, ich meinte "Wahrheitsbesitzenden" ihren Glauben nicht streitig machen will. Euer Affentheater stört mich nicht, gelassen fliegt mein Blick über euch hinweg, um sich auf vornehmere, und vor allem: schönere Dinge und Wesen zu richten, als auf eure gekrümmten Schultern und euer "Ach" und "Wehe", das ihr eurem Gott zuwirft, als sei er nichts weiter als ein "Krankengott", ein "Helfergott", der nichts besseres zu tun hat, als sich um eure jämmerlichen Problemchen zu kümmern.

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Solange sich die Religion nicht eingestehen kann, dass ihr die Wahrheit genauso fremd ist, wie der Philosophie, solange sie vor allem den Glauben an Spekulationen und gedankliche Experimente, der in unserer Geisteswissenschaft unabdingbar ist, als "entheiligend", als säkularisierend empfindet, so wird ihr Wesen ewig von demjenigen der Philosophie getrennt sein, so wird bei einer Symbiose der beiden Pole nie mehr als grober Dilettantismus und niedere Stümperhaftigkeit herauskommen, da man, für eine solche Prozedur, aus den Wesensaspekten beider Fronten (gemeint sind: der religiöse Glauben und der philosophische Zweifel), jeweils eine halbe Sache machen müsste, wohingegen doch ihr Anspruch auf Absolution - gleichsam das einzig Gemeinsame, wie auch Trennende der zwei Geisteskulturen - sie erst zu dem machen, was sie in ihrem Innersten sind.

Es könnte also niemals Philosophie und Religion zusammenkommen, ohne dass sich beide Weltanschauungsformen ihrer selbst entfremden und somit ihr essenzielles Wesen verlieren, weshalb wir so dann nicht - wie vielleicht einige erwarten würden - berechtigt wären, von religiöser Philosophie oder philosophischer Religion, sondern höchstens von halbreligiöser Halbphilosophie oder halbphilosophischer Halbreligion zu sprechen, wobei vielleicht auch diese Begriffe noch zu positiv gewählt sein dürften, um die Verdorbenheit einer solchen geistigen Halbwüchsichkeit und Kompromißverlogenheit mit einem Schritte voll auszumessen.


 

(c) Philemon