Aphorismen (Juli 2004)

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1.)

Es wird der Mensch nur bewundert, wenn er sich in eine Gesellschaft begibt, welche seiner nicht würdig ist, aber trotzalledem noch Geist genug besitzt, um sich der Eminenz seiner Vernunft und Gestik bewusst zu werden. Der unterlegene Mensch fühlt sich durch die Anerkennung des Vornehmeren, sofern er ihn als solchen erkannt hat, selbst vornehmer, was ihn kurzweilig in seinem Gefühl erhöhen mag und ihn ehrgeiziger wirken lässt. Egal nun, was aus diesem Ehrgeiz erwachsen mag, es ist weniger ihm selbst, als dem Vornehmen zu verdanken, der sie in ihm geweckt hat, ja ihn unter Umständen erst so weit bringen wollte. Dieser hat, bei einem Übergewicht an praktischer Vernunft, manchmal auch die Möglichkeit, das weniger reflexive Gegenüber in eigens bestimmte Bahnen zu lenken, die das Gespräch interessanter machen. Trotzallem sei gesagt, dass man in seiner Art nur an Großmut und Stärke gewinnt, wenn man sich insbesondere mit Menschen einlässt, die man noch nicht überwunden hat, also insbesondere mit jenen, die einem keine Bewunderung zollen. Deshalb ist das Bewundertwerden nichts anderes als die Rast des Wanderers bei einer ruhigen Quelle, die einen erfrischen und Mut geben soll, während aber nur die schroffen Felswände und gefährlichen Aufstiege ihn wirklich weiterbringen und ihn innerlich bestärken und abhärten.

 

 

2.)

Es ist der Gipfel für den Wanderer nur von Bedeutung, insofern er etwas Zu-Überwindendes ist und das Bergsteigen auch nur, sofern er mit ihrer Hilfe sich selbst überwinden kann. Nicht anders verhält es sich in der Erscheinung des Vornehmen. Sein Blick ruht nie und seine Ansprüche sind unersättlich. Er verneint das Sein, zu Gunsten des Werdens und lässt sich von dem Gedanken an den Tod ebenso wenig einschüchtern, wie von den Nöten und Gewissensängsten seiner Vergangenheit. 

 

 

3.)

Allen weltlichen Dingen und Alltäglichkeiten offen den Krieg zu erklären, hieße, eine unvernünftig große Feindschaft auf sich zu nehmen, die einem selbst viel abträglicher sein würde, als dem Feind. Sich hingegen die Welt, mit ihren Schön- und Hässlichkeiten, oberflächlich zum Freunde zu machen, verhindert jenen Überdruß und jenes Gefühl der Machtlosigkeit, das einem bei dem Blick auf das Schlachtfeld überwältigt. Und der Kampf gegen das Unveränderliche fand sein Schlachtfeld schon immer lediglich in der eigenen Person, weshalb so ein Krieg niemals zu gewinnen und immer mit großem Schmerz verbunden ist.

 

 

4.)

Ich kann an meinen Triebfedern und Motiven nichts ändern – aber, statt sich wegen ihnen ein schlechtes Gewissen zuzuziehen, muss man es verstehen, sie für seine eigenen Zwecke zu nutzen. Die vernünftige Selbstreflexion macht den Vornehmen dadurch vornehm, den Freigeist dadurch frei und den Mächtigen dadurch mächtig, dass sie ihm die nötigen Mittel in die Hand gibt, über sich selbst zu gebieten. Die Eigenmächtigkeit ist der weiteste Schritt in die Sphäre der Macht – sie ist vielleicht sogar das Wesen der Macht überhaupt.

 

 

5.)

Man soll sich selbst nur Feind werden und sich seiner entfremden, wenn man auch Chancen hat, den darauffolgenden Krieg zu gewinnen und als neuerer, als höherer Mensch daraus hervorzugehen. Alles andere spaltet die innere Kraft der eigenen Persönlichkeit.

 

 

6.)

Wer zu sehr in Harmonie mit den umgebenden Dingen und Personen lebt, der wird sich bald selbst in ihnen verlieren und den Glauben an sein schöpferisches Ich und seine Eigenständigkeit verlieren; wer hingegen zu wenig Einfühlungsvermögen und Feinfüligkeit aufbringt, um das auch nur im Gerinsten zu gewährleisten, der wird sich dadurch die Suppe vergiften und schließlich selbst giftig werden, da er ihrer nie ganz entbehren kann. Ersterer wird den anderen Menschen ein zu starkes Heilmittel sein, der sie verweichlicht und empfindlich macht; Letzterer, ein zu starkes Gift, das zuweilen auch ihren Magen so weit verderben wird, dass sie von diesem Gift abhängig werden und es bald selbst produzieren. Es gilt also das Höchste in der Mitte zu finden – so wie auch der Berg seine Spitze über dem Herzen trägt.

 

 

7.)

Kein moralisches Urteil kann seine Validität im Angesicht der Mannigfaltigkeit der menschlichen Verhaltensweisen halten. Viel mehr wird es immer wieder menschliche Triebfedern und Eitelkeiten geben, die einem neu sind und die man besser in keine Schublade zu sperren sucht, als sie falsch zu bewerten. Alleine, das theoretische Moralisieren hilft seinen moralischen Sinn zu schärfen und ihn auch auf das Praktische, Oberflächliche anzuwenden. Darum sind auch Vorurteile vorteilhaft.

 

 

8.)

Man kann sich selbst schwerlich überschätzen, wenn man sich weniger als den sieht, der man ist, als als den, der man werden möchte. Deshalb kann es auch nicht schlecht sein, von sich überzeugt zu sein, solange man ehrgeizig und großmütig genug ist, seine Überzeugung als Wanderstock zu sehen, der einem das Gehen erleichtert. Dennoch ist darauf zu achten, ihn andere Menschen nicht spüren zu lassen, weil sie sich durch die Stärke und Weitläufigkeit des Wanderstockes allzu leicht eingeschüchtert und bedrohft fühlen.

 

 

9.)

Nicht die Frage, was bleiben wird, ist von Bedeutung, sondern was geblieben ist und noch kommen wird. Die Zukunft unter dem Sichtfeld der Vergänglichkeit zu sehen ist töricht, da einem hierbei leicht der Eindruck vermittelt werden könnte, es sei ohnehin gleich, was man tut und – alles vergehe einmal, also, weshalb sich darum bemühen, es zu erschaffen? In Wirklichkeit geht eine solche Betrachtungsweise vom Tode, also vom Ungewissen aus, anstatt sich am Leben, am Spür- und Fassbaren zu orientieren. Die Philosophie hat, bis auf wenige Ausnahmen, verabsäumt, den Menschen das Wichtigste ans Herz zu legen: dass nicht die Ewigkeit, sondern der Moment zählt und, dass wir froh sein können, dass nichts ewig ist, da so nämlich auch nichts werden könnte und folglich auch jede Hoffnung, unser wertvollster Besitz, der Absurdität geopfert wäre. Wer die Ewigkeit im Moment findet ist doppelt gesegnet, erstens weil er in den unersetzlichen Genuß der Unendlichkeit kommt und zweitens, weil es unzählige Momente in jedem Leben gibt und sie alle so reich an Schönheit und Sinnhaftigkeit sind, das man meint nur die Arme danach ausstrecken zu müssen, um sein Verlangen danach für immer zu stillen.

 

 

10.)

Das Schaffen, möge es nun im Dichten, Philosophieren, Malen, Musizieren oder gar im einfachen Gespräche mit einem Freund liegen, verschafft uns oft jene Beruhigung der Seele, jene tiefe Zufriedenheit, die uns in der Unruhe der Eitelkeit, der Demut, kurz: des Objektseins für andere, so sehr abgeht. Es ist die momentane Unerschütterlichkeit des schöpfenden Subjekts, oder besser gesagt: die vermeintliche Selbstsicherheit, mangels einer Reflexion, welche das Subjekt in Frage stellen könnte. Andere bekommen diese innere Stärke auch zu spüren und fühlen sich dazu veranlasst, den Schaffenden für das scheinbare Fehlen seiner Eitelkeit zu bewundern. Denn der Eitelste ist eben nicht derjenige, welcher auf sein eigen Wort mehr gibt, als auf das der anderen, sondern im Gegenteil, der sich dem Urteile anderer unterwirft und beständig versucht, ein gutes Bild von sich zu erzeugen, sprich: derjenige, der mehr Objekt, als Subjekt ist. Deshalb ist die Eitelkeit auch insbesondere ein weibliches Laster, während die Rücksichtslosigkeit eher dem Manne eigen ist.

 

 

11.)

Es gibt im Groben lediglich drei Motive, eine Heldentat zu begehen: Erstens: Man vollbringt eine heroische Tat, um andere zu beeindrucken, zweitens: man tut es, um anderen zu helfen, drittens: man wagt es, um sich selbst etwas zu beweisen und die eigene Feigheit oder Schwäche zu überwinden. Das erste Motiv beruht auf Eitelkeit, das zweite auf Mitleid, und das dritte auf dem Willen zur Macht. Anders gesagt bedeutet das: Der Erste ist ein demütiger, der Zweite ein gerechter und der Dritte ein eigensinniger Held.

 

 

12.)

Es ist beizeiten auch einmal nötig, sich vorzustellen, wie es einem, bei wesentlich schlechteren Umständen, erginge, um ein schweres Los trotzallem tapfer erdulden zu können. Es verhält sich dabei ähnlich, wie mit dem verwöhnten Kinde, das sich einreden muss, jahrelang überhaupt nichts gegessen zu haben, um auch den Geschmack einer ihm verhassten Speise ertragen zu können.

 

 

13.)

Die Christen und auch die Buddhisten haben ihren größten Feind, ich meine den Schmerz, dadurch bestärkt, dass sie beständig nur versuchten, Mittel zu finden, ihm aus dem Wege zu gehen, anstatt sich ihm entgegenzustellen und seine wahre Beschaffenheit zu analysieren. Sie haben den Schmerz in der Tat so hingestellt, als wäre er der Teufel in seiner elementarsten Form und, sie dachten gar nicht daran, dass er möglicherweise auch von größtem Nutzen für die Menschen sein könnte – so darf es uns nicht verwundern, dass er alsbald auch zum Teufel wurde und dass sich nun jeder halbwegs kluge Mensch lieber in seiner Arbeit und Gesellschaft verliert, als sich dem Leid auch nur für einen kurzen Moment freiwillig hinzugeben. In Wahrheit sind tiefe Schmerzen nichts anderes als Schwangerschaftswehen, kurz vor der Geburt unseres neuen Ichs, kurz vor der Überwindung also unseres alten Ichs, das wir wie eine verbrauchte, zu klein gewordene Haut ablegen und beiseite liegen lassen. Menschen, die den Schmerzen aber lieber schnell aus dem Weg gehen und versuchen, sie mit Unterhaltung und übermäßiger Arbeit zu unterdrücken, werden nur sehr selten zu einer Geburt kommen, weil sie diese immer weiter hinauszögern, ja sie bisweilen sogar verleugnen. Auch, wenn es wohl sein mag, dass das Gesamt ihres Lebens von viel weniger Leidensmomenten durchdrungen war, sind sie beständig kinderlos, ergo charakter- und relieflos geblieben, was sie für höhere Geister eher uninteressant und flach wirken lässt. Und außerdem: Wer beständig nur vor dem Werden der Dinge davonläuft, wer könnte da von sich behaupten, wirklich gelebt zu haben?

 

 

14.)

Buddha sagte: »Alles Leben ist Leiden. Werden und Vergehen ist Leiden. Geburt, Krankheit, Alter, Tod ist Leiden« Ganz unaufgefordert fügte ein anderer hinzu: »Dann möchte ich noch hundertmal so viel Leiden, damit ich noch hundert mal so oft werden und wieder vergehen, geboren, krank, alt werden und sterben kann – Ich liebe das Leben nämlich und will mich ihm nicht versperren, wie ihr Mönche es tut. Denn während ihr glaubt, dass man sich allem entziehen und alles fliehen müsse, bin ich der Meinung, sich allem stellen und alles überwinden zu müssen – Dies sei meine Religion, mein Heiligtum, mein Weg zur Seligkeit«

 

 

15.)

Jede Moral klingt in den Ohren späterer Zeitalter wie eine sinnlose Anhäufung von Übertreibungen, Verkehrungen und Überflüssigkeiten. Das liegt daran, dass niemand so recht begreifen möchte, dass sich Moral niemals absolut, sondern immer nur relativ zum Menschen verhält und, dass jede Epoche eigene Laster und Tugenden hat, also auch eigene Mahnungen und Loblieder benötigt, um das Volk dazu zu motvieren, sich zurück zum Mittelmaß zu begeben. Alleine – ist nicht auch dieses Mittelmaß nur Einbildung?

 

 

16.)

Ich wäre schön dumm, wenn ich noch daran denken würde, der Menschheit, oder was man allgemein als solche bezeichnet, eines Besseren belehren zu wollen. Ich gebe es offen zu: Sie interessiert mich nicht und was auch immer sie in den nächsten Jahrhunderten zu ihrem eigenen Leidwesen anrichten wird – es wird geschehen, ob mit oder ohne meine Hilfe. Mögen auch noch so viele meine diesbezügliche Teilnahmslosigkeit anklagen und mich derentwegen verfluchen: wenigstens bilde ich mir nicht ein, dieser Spezies irgendwas zu bedeuten, irgendwas am Lauf der Dinge ändern zu können. Nein, mir geht es um etwas anderes, als die Menschheit: Mir geht es um die Einzelnen, die Singularitäten, die eben dadurch singulär sind, dass sie nicht dem konventionellen Menschbild entsprechen – welche im wahrsten Sinne des Wortes unmenschlich sind. Wenn unsere Gattung noch zu retten ist, dann werden insbesondere diejenigen daran beteiligt sein, die ihr am wenigsten angehören, denn die menschliche Rasse ist eine suizidgefährdete Rasse, eine Rasse, die an dem durch sie selbst verursachten Überdruß letztlich untergehen wird, allmählich in sich verfallen und unmerklich absterben wird. Es liegt so dann die Rettung, wenn sie überhaupt in den Rahmen des Denkbaren fällt, in den Händen der Unmenschlichen, der Tyrannen, der Asymetrischen und Inkonventionellen. Nur Sie werden die endlose Mittelmäßigkeit und Langeweile durchbrechen können, nur sie werden in der Lage dazu sein, durch ihren krankhaften Wahnsinn und ihre rege Phantasie, durch ihre Unsittlichkeit und Zerstörungswut die Menschheit aus ihrem gähnenden Schlaf zu rütteln, ihr einen neuen Sinn zu verleihen, der in der Vernichtung jener Demagogen und der Zurückgewinnung der menschlichen Harmonie liegt. Ihre offene Feindschaft gegenüber dem Philistertum und der Burgeousie, wird gerade diese aus ihrem Sinnlosigkeitsgefühl erretten, da sie nun endlich wieder, wo alle Natur beherrscht, alle Zufälle auf ein Minimum beschränkt und alle wilden Völker beschwichtigt sind, ihr innovatives Ziel darin sehen, das von ihnen abweichende Genie, ja überhaupt alles Unmenschliche zu vernichten. Der Krieg wird ihnen alsbald die größte Lust bereiten, weil sie darin nicht nur die Hoffnung auf Frieden hegen, sondern auch ihren längst vergessenen Heldenmut beweisen können, was ihnen in Zeiten, wo der Friede allgegenwärtig und geradezu erdrückend auf sie einwirkte, freilich nicht möglich war. So werden es schließlich die Misanthropen, die Menschenhasser und Giftspucker sein, welche die Menschheit aus den Fluten ihrer eigenen Lebensmüdigkeit erreten wird – und wie so oft wird kein Wort der Dankbarkeit sich jenen offenbaren, denen es doch am meisten zu verdanken ist.

 

 

17.)

Lasst euch von niemandem vorschreiben, wie ihr zu leben habt, wenn ihr euch nicht sicher seid, dass es keinen besseren Weg gibt (und darin kann man nie so recht sicher sein). Bedenkt immer, dass die Vielfalt der geistigen Ideale und Wertschätzungen gerade denen zu verdanken ist, die souverän und autonom genug waren, sich durch das Dickicht des Bösen und Dunklen zu schlagen. Freilich habt ihr viel Mut und Stärke zu beweisen, wenn ihr euch von der Geborgenheit des Elternhauses trennen wollt, aber mit ein wenig Glück werdet ihr unberührte Orte finden, an dem noch nie zuvor ein anderer gewesen ist und der gerade deshalb unverbrauchte Kraft und Schönheit ausstrahlt. Doch sprecht nur leise und zurückhaltend von ihm, wenn ihr denn überhaupt von ihm sprechen müsst – ja, viel besser noch: verratet niemandem, wo dieser geheimnisvolle Ort liegt, denn fremde Augen würden das Licht, das ihr so lieb gewonnen habt, nur beschmutzen und matt werden lassen. Begeht auch nicht den Fehler, euch dort ein Heim zu errichten, denn der Mensch liebt nur das, zu dem er sich frei und ungebunden verhalten kann. Suchet den Ort viel mehr nur dann auf, wenn ihr seine trostgebende Schönheit so bitter nötig zu haben scheint, dass ihr euch überall sonst verstoßen und fremd fühlt. Versprecht ihr mir, all das treulichst zu tun und habt ihr eure höchste Weisheit, euren wunderlichsten Schatz und verlässlichsten Trostgedanken, kurz: euren geheimsten und eigensten Ort auch schon gefunden, so werdet ihr immer ein Refugium in eurem Innern besitzen, das gleichsam euren ganzen Wert und eure stärkste Hoffnung in sich birgt.

 

 

18.)

Die Annahme, dass die Vernunft, der Geist, die Idee und alles damit Zusammenhängende einen endgültigen Zweck liefern kann, auf das hin der Mensch sein Leben auszurichten hat, ist romantische Idealisierung, ergo irreale Wunschvorstellung, die in keinen ernst zu nehmenden Rahmen fällt; denn alleine schon die Genealogie des Geistigen aus dem Körperlichen, sowie die überwiegende Dependenz der Vernunft von den ihr zuvorkommenden Trieben, sollte zur Genüge belegen, dass alles Geistige in unserem Leben nur Zweitrangstellung besitzt und kein Anrecht darauf hat, so in den Himmel gelobt zu werden, wie es der Philosoph und Denker beizeiten gerne tut. Viel richtiger erscheint mir die Auslegung, dass die Vernunft ein Grad sei, auf dem zu wandeln, eine wichtige Aufgabe ist, um das Leben schöner und aufreizender zu gestalten, sowie auch: dass der Geist ein sublimierter Behälter der eminentesten und erhebendsten Leidenschaften sei, dessen der Mensch fähig ist. Insofern hat der Geist also durchaus eine große Bedeutung – aber eher nur als ästhetisches Beiwerk, als Zierde, als Stil, als verschönernder Akzidenz. Das Substanzielle aber liegt in der sinnlichen Wirklichkeit des Lebens, vor allem aber im Gefühl, in der Empfindung, in der Unmittelbarkeit und Unbeschreiblickeit unseres Daseins. Man halte sich nun vor Augen, was ich damit eigentlich sagen möchte: nämlich, dass die Erscheinung das eigentlich Wertvolle und die Wahrheit das eigentlich Wertlose ist, ja dass die Wahrheit überhaupt nur dann an Wert gewinnt, wenn sie selbst zu etwas Erscheinendem wird, was aber doch unmöglich sein soll. Unser vermeintliche Wille zur Wahrheit wird hier keinen Einspruch erheben: Letztlich ist auch die Wahrhaftigkeit nur darum etwas Wünschenswerteres als die Erscheinung, da der Schein, einmal als Täuschung erkannt, seine Phänomenalität verliert und er uns darum nicht mehr erscheinen kann, da wir unsere Treue ihm gegenüber nicht länger aufrecht erhalten können. Und seien wir doch ehrlich: Würden wir denn nicht bei einer Erscheinung, die uns ewig scheint, und die uns zu widerlegen unmöglich vorkommt, von einer Wahrheit sprechen?

 

 

 

(c)Philemon