Meine Tragödie II (November 2004 - Februar 2005)
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29. November

 

Die Tage, die nun folgen, werden mühseliger und arbeitsamer werden, als je zuvor. Ich wundere mich etwas, dass ich erst jetzt realisiere, mit wie viel Hingabe und Selbstüberwindung dieser Schulabschluß verbunden sein muss. Trotzdem gilt dasselbe, wie überall im Leben: nicht aufgeben und mit dem Kopf gerade hindurch. Und wenn er daran in Stücke geht, nun, dann hat er es nicht verdient, weiter auf meinem Torso zu sitzen.

Aber beschäftigen wir uns mit anderen, mit höheren Fragen und lassen die Kleinlichkeit alltäglicher Nöte hinter uns.

Was ich erkenne, was ich verstehe, was ich wahrnehme, das wird mir nur bewusst, sofern ich es subjektiviere, zu meinem Eigentum mache, also sofern ich mich des Gegenstandes, welchen ich mir bewusst machen will, bemächtige. Interesse ist also nichts anderes, als gewollte, d.h. subjektivierende Erschaffung eines objektiven Gehalts und ist daher von Gesundheit und Stärke ebenso abhängig, wie jeder andere Akt. Objektiv wird alles nur, sofern ich es im Rahmen meines Bewusstseins subjektiv objektiviere. Etwas vorzeitig, übersubjektiv Objektives existiert nicht, da jede gegebene Wirklichkeit, bzw. wirkliche Gegebenheit immer auch schon ein Produkt meines subjektiven Schöpfungstriebes, meiner Physiologie ist. Jeder Blick, jedes Hören und Riechen, jedes Ertasten ist subjektive Bemächtigung. Die Bemächtigung erschafft erst das Objekt, d.h. etwas unter-subjektiv Gegebenes, das mir für weitere subjektive Objektivierung zur Verfügung steht.

 

 

04. Dezember

 

Es ist ein seltsames Gefühl.

Ich sehne mich nach der Kleinheit und Kleinlichkeit vergangener Tage zurück, sehe mich als Kind, wie ich vor Gesundheit nur so übergehe und meine Freunde stets zum Lachen bringe. Es macht mich etwas nostalgisch, zu wissen, dass jene Zeit der unschuldigen Träumerei, jene Zeit des Sich-Verlierens in der Wirklichkeit vorüber ist und nun die harte Zukunft der erwachsenen Selbstsucht ihren Antritt macht; ich ärgere mich sogar ein wenig über die Philosophie, die gerade meine Jugendzeit so arg für sich eingenommen hat, ohne mir etwas als Gegenleistung zu geben. Wirklich, was nützt mir die dionysische Weisheit eines Nietzsches, solange ich mich noch mit einem pedantischen Mathematikprofessor und ein paar oberflächlichen Freunden rumschlagen muss? – Wenn man mich so sieht, mit dem Buch zwischen den Augen und den Zeigefinger am Kinn, da könnte man fast meinen, ich habe die anderen nicht nötig, würde sie verachten und mich darum mit „Höherem“ beschäftigen – Oh, ich wünschte, es wäre so: Doch von wegen! – Meine Lektüre, ganz gleich wen und wann ich lese, ist eine Flucht vor der Wirklichkeit, ein kurzes Aufatmen und Luftholen vom Strom des Werdens und dadurch immer nur Zeichen meiner Schwäche und Niedrigkeit.

 

 

05.Dezember

 

Plan der Genesung:

 

1)    Züchte dein Gutes, um damit dein Schlechtes zu übertrumpfen. Kümmerst du dich zu viel um dein Schlechtes, wird es darum auch nicht besser, aber viel von deinem Guten geht zu Grunde, weil du ihm keine Beachtung mehr schenkst.

2)    Bewahre dir deinen Stolz und sei lieber starrköpfig als eitel. Besser du hast einen Willen, an dem sich andere stoßen, als einen, der den anderen beständig hinterher läuft, sodass sie irgendwann weglaufen müssen. Denn schöner ist die auf sich beschränkte Stärke anzusehen, als die alles haben wollende Schwäche.

3)    Behalte dir deinen kleinen Horizont und erweitere ihn nur bis zu jenen Ausmaßen, die du noch deutlich überblicken kannst. Dein Geist muss wie ein spiegelglatter See sein, auf dem sich die Dinge in der rechten Übereinstimmung wiederfinden.

4)    Keine narkotischen Stoffe mehr. Sie bezeugen dein Scheitern an der Welt und legen noch das Fundament dafür.

5)    Versuche deine Konzentrationsfähigkeit zu steigern. Gehe beispielsweise in eine chinesische Kampfschule.

6)    Willst du das Gute, so erreichst du, eben weil du es nicht direkt anstrebst, auch das Schöne. Willst du aber das Schöne, so erreichst du nichts, außer Eitelkeit und Enttäuschung..

7)    Es geht nicht darum, Mißerfolge zu vermeiden, sondern Erfolge zu erzielen. Es geht auch nicht darum, das Leben zu überstehen, sondern etwas Distinktives daraus zu machen. Nur so wirst du ein freier, sich selbst setzender Mensch (und niemand sagt, dass du deine Setzung bis zu einem gewissen Grade nicht wieder rückgängig machen kannst)

8)    Man muss sich selbst aus den Augen verlieren können, um sich ganz den anderen Dingen und somit der Liebe gegenüber den anderen Dingen zu widmen. Und nur die Liebe macht uns selbst liebenswert. Aber Stolz und Eitelkeit verhindern diesen Selbstverlust. Und die Eitelkeit noch mehr als der Stolz, weil sie niemals ganz mit sich fertig wird, während der Stolz sicher auf seinem eigenen Wesen sitzt.

9)    Sei wie ein Krieger: In Gesundheit hart und rücksichtslos gegen sich selbst, in Krankheit nur auf Genesung aus.

10)                      Zuerst kommt die Not, dann kommt die Pflicht, dann kommt die Lust, dann kommt die Größe und erst zuletzt, mit leisen Füßen, kommt die Schönheit. So sei wenigstens deine innere Hierarchie.

11)                      Mit dem Herzen denken und mit dem Geiste fühlen – so gehörst du ganz und gar deiner Wirklichkeit.

 

 

08.Dezember

 

Bin der Wirklichkeit entrissen,
einsam auf mich selbst gestellt,
bin vor Selbstsucht gar zerfressen,
will nichts mehr von dieser Welt.

Hab die Morgenstund verloren,
die mich frühlingshaft geweckt,
jung zum Tode auserkoren,
ist mein Seelchen fast verreckt.

War als Kind recht gut beinand',
Und vor Liebe übervoll,
Hab die Welt stets gern umarmt,
Wusste immer was ich soll.

Doch die Zeit ist jetzt dahin,
Grau Gewölk umhüllt das Licht,
Weiß nicht mehr, woran ich bin.
Dunkelheit, verschluck mich nicht!

 

 

08.12.04

 

Man muss sich entscheiden, ob man Geschichte schreiben oder Geschichte machen will, denn beides zugleich ist unmöglich. Solange man seinen Blick nicht nur auf die Welt, sondern auch in ihr Wesen lenkt, solange der eigene Wille nicht auf das Überwinden der Wirklichkeit aus ist, sondern auf das Überdenken derselben, solange man sich selbst als reines Passivum der Geschichtlichkeit versteht, solange wird man die Welt auch nicht wesentlich verändern können, solange wird das eigene Selbst nicht grundlegend in die Wirklichkeit eingreifen, solange wird von einem selbst keine Geschichte zu erzählen sein.

 

In Wahrheit kann ich gar nicht philosophieren, ja schlimmer noch: sollte ich gar nicht philosophieren. Meine Erfahrungen sind so beschränkt, dass ich mehr Irrtümer produziere, als Wahrheiten.

 

 

11.12.04

 

Absoluter Nihilismus bedeutet absolute Indifferenz und Meinungslosigkeit. Dem Nihilisten ist alles gleich, dadurch sieht er die Differenzen nicht, d.h. er schafft sich die Differenzen nicht, wodurch für ihn alles an Wert verliert. Denn Wert hat etwas nur, sofern das Entgegengesetzte wertlos ist, sofern ich also das eine vom anderen unterscheide. In Wahrheit existiert die Differenz nicht, wenn Wahrheit als etwas rein Objektives, nur durch reine Passivität Erfassbares verstanden wird. Die Differenz wird erst durch das menschliche Bewusstsein in die Wirklichkeit gesetzt, besser: gewinnt erst durch das glaubende Subjekt an Wirklichkeit. Wenn der Setzungsvorgang aber seinerseits bewusst wird, erhebt sich das Subjekt über sich selbst, es transzendiert sich und verliert sich zugleich: es verwandelt sich in ein objektives Gespenst, das seinem eigenen Wesen keinen Glauben mehr schenkt.

Ausweg: Es gibt keine höhere Wahrheit als die, welche ich durch meinen eigenen Willen setze. Wahrheit ist zuhöchst subjektiv, Wahrheit, wenn sie existiert, ist ein reines Bewusstseinsphänomen und nicht über die Wirklichkeit zu stellen. Viel mehr: Wahrheit selbst ist nur Wirklichkeit, Wirklichkeit aber nicht unbedingt Wahrheit. Schlussfolgerung: Die Wirklichkeit schließt die Wahrheit in sich ein, die Wirklichkeit ist umfassender, umfänglicher als die Wahrheit.

Das höchste Gesetz ist also das Gesetz meines Willens. Der Wille selbst ist aber nichts Gesetztes, sondern etwas Setzendes, er setzt mich, er setzt die Wirklichkeit, er setzt eine ganze Welt in mein Bewusstsein. Der selbstbewusste Mensch trägt eine ganze Welt in sich, dadurch dass er glaubt, er würde die Welt kennen. Dies muss er glauben, um zu handeln, da das Handeln sich immer auf die beglaubigten Umstände, also die beglaubigte Welt bezieht.

Der höchste Ausdruck des selbstverliebten Willens ist die Schöpfung. Die Schöpfung tritt aus dem Menschen heraus, als von ihm selbst beglaubigte Wahrheit. Die vollkommenste Schöpfung ist die verlogenste Schöpfung, d.h. diejenige, welche sich im Akt noch selbst belügt, indem sie sich objektiv nimmt, obgleich sie rein subjektiv ist.

Die Wahrheit ist Nichts, Wille zur Wahrheit ist Wille zum Nichts. Und zwar nicht, weil Wahrheit schlichtweg nicht existieren kann, sondern weil Wahrheit als etwas Objektives nur im Nichts existiert: nämlich im Nicht-Setzen, also auch Nicht-Wahrnehmen, Nicht-Empfinden, Nicht-Denken.

Ausweg: Umformulierung des Wahrheitsgedankens oder schlichte Ablehnung der Wahrheit.

Konventioneller Glaube: Wahrheit soll sein, was über dem Irrtum liegt. So ist es angeblich auch die Wahrheit, vermittels welcher man den Irrtum widerlegt. Man widerlegt den Irrtum aber nur durch einen anderen Irrtum, der nur ein Stück weit wahrer ist. Dieses Stück beinhaltet aber nicht mehr, als die Tatsache, dass der vorherige Irrtum nicht mehr wahr ist. D.h. der zweite Irrtum ist gerade um die Negation des ersten Irrtums wahrer als der erste Irrtum. Wahrheit ist aber per definitionem in keinem dieser Irrtümer, demnach auch kein Grad von Wahrheit. Abstufung von Wahrheit wäre selbst der größte Irrtum. Viel mehr scheint Wahrheit ein abstraktes Ziel zu sein, welchem man sich durch das Hinter-Sich-Bringen von Irrtümern nähert, ohne es aber jemals zu erreichen.

 

 

14.12.04

 

Wenn alles Weltliche nur insofern der Welt angehört, als es zugleich wirklich ist, und wenn alles Wirkliche mir nur durch mein Selbst zu Bewusstsein kommt, d.h. nur wenn es durch mein Subjekt reflektiert wird, so ist meine Welt und dadurch alle Welt, die mich etwas angeht, nur im Rahmen meines Subjekts etwas Seiendes und kann auch nur dort ihr Wesen erlangen. Das führt uns zu dem Schluss, dass unser Selbst und unsere Welt im Grunde ein und dasselbe ist, dass im Grunde keine Differenz zwischen dem existiert, was ich als Subjekt und was ich als Welt wahrnehme.

 

Schlussfolgerung: Mein Selbst ist die Welt und die Welt ist mein Selbst. Ich bin mit der Welt aufs Engste verknüpft, bin mit ihr eins. Wenn ich Sinn in der Welt finde, habe ich ihn zugleich erschaffen, als auch gefunden, ist er zugleich subjektiv aus mir entstanden, wie auch objektiv von mir erlebt. Ich bestimme die Welt dadurch, dass ich mich selbst in sie hineinsetze und indem ich mich in sie hineinsetze, setze ich eine Welt in die Welt, die der Leere Sinn verleiht.

 

 

02.01.2005

 

Ein glückseliges, neues Jahr wünsch’ ich mir, ein fröhliches, gesegnetes, neues Jahr.

Ich verspüre Hoffnung, dass ich vergessen werde, was mich so lange bedrückt, dass der Regen, der in wirklicher Form gerade draußen auf das Straßenpflaster schlägt, in übertragener Form meine Seel’ vom ärgsten Dreck befreie und mir das unbeschwerte Atmen gönne, das so sehnsüchtig und so lang’ ich suchte. Jede Tragödie endet für den Protagonisten mit Tod oder Trauer, mit Untergang oder Verzweiflung – dies steht fest, an dieser Endgültigkeit kann nicht gerüttelt werden. Doch beginnt sie oft mit Hoffnung und mit Freude, mit Übermut und Unschuld und bahnt sich von dort den Weg bis zur hellen Spitze des Schicksalsberges, auf dessen anderen Seite bereits der Untergang den tragischen Wanderer erwartet. Doch erstens verhindert grad der hoffnungs- und seelenvolle Aufstieg den Anblick dessen, was danach noch kommen wird, und zweitens lässt der Gipfel nicht erahnen, weil seine Höhe nur ins Auge fällt, dass er zum Stürzen ebenso geschaffen ist, wie zum Erklettern.

Drum lob’ ich mir die Blindheit! Lob’ mir das Vergessen, welches wie ein schönes Weib, mein Herz von allen Sorgen, aller Angst befreit, und damit jenen groben Dreck verschwinden lässt, der als Zeichen meiner Schwäche noch, sich als Wissen um die große Zahl der Fehler nicht nur kundgibt, sondern mich gar schwächt, indem es als Wissen um die Vergangenheit mir letzten Mut noch rauben will, – denn dieses, nämlich das Wissen, kann auch Grund zur Ohnmacht, zur Verzweiflung werden, Mister Bacon, und nur im gesunden Falle, ist es Macht, wie Sie gesagt haben. Denn übersahen Sie, in ihrem Großmut, dass immer zähle, ob denn der Wissende auch stark genug, sein Wissen zu ertragen: Die Dosis macht dabei das Gift, auch hier: man glaubt es nicht, und der Geist ist ein Magen, der auf bestimmte Kost angewiesen ist, aber andere meiden muss.

 

 

07.01.2005

 

Schulbeginn mit leichten Magenbeschwerden – ansonsten recht angenehm.

Einzige Irritation: Ein kurioser, fast eifersüchtiger Blick eines sonst unscheinbaren, ja unschuldigen Klassenkollegen, als wir uns alle zum Fernseher umwenden und ich SIE (meine Sonne), von der ich diese Ferien oft geträumt habe, endlich zu sehen bekomme. Er ist gleichzeitig ihr Sitznachbar und dürfte meine sehnsüchtigen Augen, die sich kurzzeitig nach ihr verzehrt haben, wohl richtig interpretiert haben. Erste Frage, die sich mir dabei stellt: Wozu denn dieser Aufwand? – Ist sie nicht ohnehin an einen anderen gebunden?, ist es jetzt auch ein Frevel, jemanden im Geiste zu besitzen, der einem schon körperlich ferne bleiben muss?, und wenn es schon nicht erlaubt ist, seinen Blick an diejenigen zu haften, die aufgrund irgendeiner unnatürlichen, christlich verseuchten Konvention einem anderen „versprochen“ sind (und was heißt das schon? – versprochen: als wenn Worte etwas besiegeln könnten), was geht das diesen Kerl an? Ist er vielleicht ein Spitzel, ein Leibwächter, ein Eunuch, dass er sich so um die Freundin seines Freundes sorgen muss?

Wahrscheinlich ist es ungerecht, derart über ihn herzuziehen. Wahrscheinlich ist er nur ein Schwächling, der selbst in Liebe für sie entbrannt ist, und der der Schönen jetzt so lange wie ein Hündchen am Beine kleben möchte, bis sie ihren jetzigen verlässt, und sich ihm die Chance bietet, aus nächster Nähe zuzubeißen. So betrachtet, und wenn es ihm tatsächlich um die Zukunft, möge sie auch noch so ungewiss sein, gehen sollte, seh’ ichs ein, dass ich ihm gefährlich vorkomme. Schwach und darum verächtlich bleibt er mir trotzdem.

 

Schönheit,

schwer ist’s,

dich zu finden,

schwerer noch,

dich zu entbinden,

am Schwersten aber,

dich zu kriegen,

muss ich dein stolzes

Herz besiegen

 

 

Die typisch menschliche Liebe, also die Liebe zu Menschen, ist doch ein undankbares, absurdes Geschöpf (man erkennt diese Absurdität vor allem am Jungen Werter Goethes, wenn man sie schon nicht selbst erlebt hat) Das zu begreifen, sollte nicht nur jenen gelingen, deren Liebe noch nie erwiedert wurde (ich zähle mich selbst dazu)

Ich denke, gerade die Liebe, dieses seltene, dieses ausgezeichnete und das Leben erst lebenswürdig machende Gefühl, sollte nicht ausgerechnet immer an Menschen verschwendet werden, welche durch ihre Wechselhaftigkeit, Mittelmäßigkeit und Undankbarkeit unser Wertvollstes gar nicht verdienen. Wenn man sich aussuchen könnte, zu welchen „Dingen“ man sich hingezogen fühlt (und die Betonung liegt durch die Einsicht, dass es nicht so ist, auf dem Begriff „Wenn“), so würde ich den Liebenwollenden raten, sich für ihre Leidenschaft Ideen, Fähigkeiten, Eigenschaften, Interessen an sich selbst zu erwählen, um diese dem eigenen Selbst immanenten und dadurch besser abschätzbaren und berechenbaren Attribute durch dieses höchst positive Gefühl zu erhöhen, bis in die Eminenz zu steigern und mit einer akuraten Zärtlichkeit, die nur der Liebe zu eigen ist, heraufzuzüchten.

 

Die Liebe zu anderen wird einem selten gelohnt, die Liebe zu sich selbst, immer.

 

Ich interessiere mich seit Neuestem für Mythen aus dem Altertum, lese gerade die „Edda“, eine nordische Gedichtesammlung, und habe vor Kurzem die Antigone von Sophokles beendigt. Leider lässt mir die Schule nur wenig Zeit für dieses neue Interessensgebiet, das ich gerne expandieren und in welches ich mich sonst stürzen würde, wie eine lebensmüde Seele in einen reißenden Fluss. Überhaupt denke ich, dass die Wurzeln unserer Sprache und Erkenntnis, dass die ursprüngliche Formalität unserer Denkweise, die Hauptmotive unserer Geschichten und Märchen allesamt in den Mythen ihren Aufschluss finden. Ich lese die Edda also weniger wie ein Historiker, noch weniger wie ein Gläubiger, sondern eher wie ein Entdeckungsreisender, der sich auf der Suche nach den unbewussten Urgründen seiner Psyche befindet. Des Weiteren bin ich von der Überzeugung, dass den Mythen kein geringerer Wahrheitsgehalt zugeschrieben werden darf, als der modernen Philosophie, da Wahrheit m.E. nichts anderes ist, als eine perfekt erdachte, d.h. eine neue Welten hervorbringende Lüge.

 

Wir brauchen neue Lügen – Lügen, an die wir glauben können, ohne dabei Gefahr zu laufen, von ihnen enttäuscht zu werden. – Die höchste Schwierigkeit wird aber nicht darin bestehen, die negativen Folgen der Täuschung zu vermeiden, sondern an diese eigens hervorgebrachten Erfindungen zu glauben. Wer seinen eigenen Lügen Glauben schenkt, schafft dies nur, sofern er sich a posteriori aus seiner Lüge herausdenkt, gleich als wäre er für seine Lüge nicht verantwortlich, sondern hätte sie nur eingegeben bekommen. Die Lüge darf nicht als Lüge, sondern muss als Wahrheit erscheinen, der ein urzeitliches Prinzip zu Grunde liegt. Damit befänden wir uns aber wieder am Rande einer metaphysischen Weltdeutung, die wir eigentlich vermeiden möchten – Oder etwa nicht?

 

 

09.Jänner 2005

 

Für eine kurze Zeit,

war’n unsere Herzen offen,

ein Hauch von Kindsein,

von verspielter Lustigkeit,

entstieg, in holder Seligkeit,

das Grab, in das wir jüngst

gefallen.

 

Vielleicht ist’s möglich – doch!

Ist’s möglich, dass wir leben noch!

Dass all die Übermacht,

mit der mich fratzenhaft

der blutverschmierte

Geist der Schwere

in die Hölle führte,

nicht stark genug

die Fesseln meiner Seele band,

sodass ich,

durch die Liebe hoch beflügelt,

dieser Unterwelt entgehen,

und mit engelsgleichen Schwingen,

über Leid und Trauer siegen kann

 

Glaubst du’s? –

Oh, ich glaube fest daran,

seitdem ich dir zur Seite

auf dem Gehweg stand,

und wir vor Lachen

und vor Selbstgenuss

einand’ in tiefer Weise

zugetan, begreifen durften,

dass wir eng verwandt,

und dass kein Zweifel,

keine Scham

uns nun mehr trennen kann,

seit dieser Zeit, ich sag es dir,

in der mein Ich verlustig ging

und du allein verbliebest mir,

seit dieser Zeit, oh schönes Leben,

in der mein Wesen –

ganz dir hingegeben –

nichts ersehnte,

nichts verlangte,

weil’s durch dich

vollkommen war,

da schien das Dasein

mir kein Rätsel mehr

nur schön war’s,

schön und trunken

wie das Meer

 

 

Gewidmet einer alten Liebe

 

 

12.Jänner 2005

 

Überwinden – das bedeutet Vergessenkönnen.

Und vielleicht wirst du mir erst wiederkehren, wenn ich dich bereits vergessen habe. Doch wozu brauch ich dich dann noch?

 

Ein Satz, heute im Kino: „Lachst du, lacht die ganze Welt mit dir. Weinst du, weinst du alleine“ – wie wahr, mein Gott, wie wahr!

 

Es gibt Beziehungen, die werden sich nie ändern, Machtverhältnisse, die sich nie umkehren. Du bleibst ewig über mir, bleibst ewig meine Sonne, und ich? – der kleine Mond, der ab und zu dein Licht reflektiert. Doch was wär ich ohne dich? –  ein Nichts, ein schwarzer Punkt am schwarzen Nachthimmel. Soll ich dir darum dankbar sein? – Im Gegenteil: ich verfluche dich!

 

Akzeptiere deine Schwächen und lerne, mit ihnen umzugehen, also spricht die Klugheit – doch der Stolz erwidert: Bekämpfe deine Schwächen und gebe dich nie mit ihnen zufrieden!

Auf wen hören?

 

Die Sonne strahlt, der Mond sonnt sich. Da wendet der Mond einmal sein strahlendes Antlitz zur Sonne und ruft aus „Jeden Abend leuchtest du für mich, gütige Sonne, jetzt will ich dir auch was von meinem Licht schenken!“. Die Sonne hingegen muss sich lange umsehen, bis sie den Mond entdeckt. Dann aber entgegnet sie fragend: „Wer bist du?“

Da geht dem Monde ein Licht auf, und er selbst geht unter.

 

 

 

21.01.2005

 

Ewige Unzufriedenheit, nimmst du denn niemals ein Ende? Man sagt immer, jeder Mensch hat doch dieselben Möglichkeiten, seine Ziele zu verwirklichen, solange sie in einem für ihn erreichbaren Rahmen aufscheinen. Aber ich kann nicht lernen, selbst wenn ich will, selbst wenn es doch möglich sein sollte, sich für ein paar Stunden hinzusetzen, und Latein Vokabeln zu pauken. Es geht ganz einfach nicht. Und so viele andere Dinge bleiben mir ebenso verschlossen. Ich kann diese Liebe, dieses aus überreicher Gesundheit strömende Interesse nicht aufbringen. Ich bin krank, ganz einfach, gefühlskrank, und diese Erkenntnis führt mich nur in noch tiefere, noch dünklere Höhlen, wo ich allmählich versieche.

Warum wurde ich nur als Schwächling, als selbstsüchtiger, von Zweifel zerfressener Wirrkopf geboren? Warum nicht als leutseliger, lebensfroher, weltenumarmender Realist, der erst gar nicht über sein Verhältnis zur Welt reflektieren muss, weil er keine Probleme mit ihr hat. ...

Aber was rede ich? – Habe ich es schon vergessen, dass jedes Gemüt seine Jahreszeiten hat? Und wenn gerade Herbst ist, was soll’s, übermorgen wird vielleicht schon wieder Frühling sein, werden die Knospen meiner Seele aufspringen, wird ein neues Leben, mit neuen Möglichkeiten beginnen.

Fängt nicht allzeit ein neues Leben an, stirbt unser Ich nicht beständig, um immer wieder neugeboren zu werden?

 

Also nicht verzweifeln! – Nicht resignieren!

Allzu oft scheint das, was wir tun, nicht entsprechend gelohnt und vor allem, das was wir sind, nicht ausreichend gewürdigt zu werden. Wir sollten uns vielleicht gar keinen Lohn mehr versprechen, denn wir erhalten ihn zumeist erst dann, wenn wir aufgehört haben, an ihn zu glauben.

 

Mir fehlt der Blick ins Konkrete, ins Leichte, Kleine, aber oft so Entscheidende. Ich will nicht wahr haben, dass es vor allem zu einem Helden gehört, die kleinen und seiner unwürdigen Dinge zu verrichten, sowie ein Dichter einst behauptet hat, dass es Herkules bemerkenswerteste Tat war, den Pferdestall auszumisten. Alles, was groß ist, war es entweder von Anfang an, oder hat sich eben aus dem Dreck der Unter- und Hinterwelten zu seiner Größe emporgearbeitet. Aber dies zu schaffen, überhaupt die Ausdauer zu besitzen, es zu schaffen – gehört dazu nicht auch schon Größe? Und wenn man daher klein ist, - wird man es nicht ewig bleiben?

Darin besteht die Ungerechtigkeit – in dem ‚Esse’ unserer Existenz, und weniger in dem, was damit geschieht.

 

Zuerst, hat einmal eine Bekannte gesagt, zuerst muss man lernen, sich selbst so zu akzeptieren, wie man ist. Erst dann kann man an seinen Fehlern arbeiten, ohne ständig durch die Verzweiflung an der eigenen Unzulänglichkeit gebremst zu werden. Es gibt einen Unterschied zwischen resignativer Akzeptanz und optimistischer Toleranz, auch wenn die Äußerungen ähnlich sind, ist die Einstellung und die Konsequenz eine völlig andere. 

 

Es wird Zeit für einen neuen Realismus:

Dazu gehört die Abstinenz von aller Mystifizierung, Metaphysik, die Enthaltung jeglicher Musik, die einen träumen lässt, Literatur, die von der Realität der Dinge ablenken soll, die Absage an jeden Idealismus, der nicht pragmatisch ausgerichtet werden kann.

Der Mensch muss wissenschaftlicher, utilitaristischer und psychologisch einsichtiger werden, damit er seinen Lebensweg adäquat in die Hand nehmen und gestalten kann.

Dabei ist der erste Schritt, die Realität zu erkennen, der zweite, sie zu akzeptieren, und erst der Dritte, sie zum eigenen Vorteil zu führen. Jeder Art von Träumerei, Jenseitsflucht und übertriebener Kontemplativität muss eine strikte Absage erteilt werden, denn sie ist Urgrund des menschlichen Scheiterns und damit Grundlage der Depression. Die Klugheit kann nicht alles richten, aber vieles lässt sich mit ihr vermeiden und vieles auch erreichen. Oft treffen uns Schicksalschläge, die wir nicht im Mindesten hätten vorhersehen können, aber ich glaube daran, dass das größte Unglück durch schlichten Realitätsgeist beseitigt werden kann.

 

Der Krieger zeichnet sich nicht nur durch Stärke, Ausdauer und Grausamkeit, sondern auch durch einen entschiedenden Hang zur Wirklichkeitsbewältigung aus. Er sollte uns hier als Vorbild dienen.

 

 

23. Jänner 2005

 

 

Versuch einer Konzeptualisierung des Heroismus

Kompilation aller Verständnismöglichkeiten, mit besonderer Rücksichtsnahme auf Nietzsches Werk

Der Demagoge, der Kämpfer, der tragische Held als Vorbild dieser Tendenz

 

Diskurs über das Scheitern;

Das Scheitern als subjektives Phänomen des Helden ist für diesen gefährlicher als die daraus resultierende, objektive Notlage. Man muss der Resignation vorbeugen, indem man alles, was mißlingt, nicht auf sich, sondern auf das Mißlungene zurückführt. Es mag in manchen Ohren ganz gleich klingen, ob man sagt, „Ich war zu schwach, ihn zu besiegen“, oder „Er war zu stark, besiegt zu werden.“ In Wirklichkeit demonstrieren die beiden Formulierungen die Einstellung des Sprechers in distinktiver Art und Weise. Im ersteren Falle gibt man augenscheinlich sich selbst die Schuld, im anderen erklärt man die Umstände, die Mittel oder die Gegnerschaft für „ungeeignet“. Die gesunde Lebenshaltung kann sich selbst nicht die Schuld geben, sie ist insofern völlig uneinsichtig und oft grausam in ihren Äußerungen. Sie ist leidenschaftlich, gewaltig, aber vor allem: natürlich. Die gesunde Lebenshaltung erfährt sich selbst als reine Selbstverständlichkeit, als etwas Unreflektiertes, mit sich Eins-Seiendes, als etwas nicht nur Gegebenes, sondern schlechthin Existierendes. Insofern ist die Philosophie als Inkarnation der Hinterfragung des eigenen Daseins ein Krankheitssymptom, eine krankhafte Reflexivität, eine völlig Übermoralizität. Die Philosophie muss aufhören, das menschliche Sein in Frage zu stellen, oder sie wird mit demselbigen zu Grunde gehen. Mag sein, dass die Philosophie Suizid begehen muss, damit der Mensch endlich gesund wird.

 

 

 05.Februar 2005

 

Ich fühle mich so tot, dass es schauderhaft ist. Nie war meine Sehnsucht nach Leben, nach Liebe größer, als in diesen einsamen Tagen. Ich hasse meine Bücher, meine Gedanken, meine Träume, ich hasse sie dafür, dass sie mir Leben versprachen, wo nur tote Steine lagen.

 

(c) Philemon