Reise ins Bewusstsein (Juli 2003)

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Kurze Anmerkung: Die folgende Erzählung handelt von einem Menschen, der mit der Welt, in welcher er lebt, nicht zufrieden ist und der deswegen versucht sich ein Refugium zu errichten, in welcher er die Augen vor der Realität verschließen kann. Trotz der Länge habe ich es noch nicht geschafft, die Geschichte zur Vollendung zu bringen, was ich aber beizeiten sicherlich nachholen werde.
 
 
 
 
 
PROLOG

Zuerst sagen sie, diese Art von Reisen sei nichts für mich, schließlich viel zu gefährlich und nur für wirklich hartgesonnene Leute. Es hätte schon welche gegeben, die seien als andere Menschen wieder zurückgekehrt, andere, die zu schwach gewesen sind, hätten nicht einmal das geschafft. Außerdem müsste ich den Weg alleine gehen und, was das größte Problem ist, sie können mir nicht zu aller Sicherheit versprechen, dass der Ort, an dem ich ankommen werde, nicht vielleicht der letzte sein könnte, den ich in meinem Leben erblicken werde.

Doch ich halte an meinem Wunsch fest. Ich habe genug von zu Hause, genug vom Alltag und genug von dieser endlosen Leere tief in meiner Seele. Ich weiß, ich brauche etwas, das mein Leben wieder in Bewegung bringt, es muss nicht einmal gut sein, es muss eigentlich nur anders sein, damit die Differenz zum Alltag, den nötigen Schwung setzt, um mich voran zu treiben.

Sie machen mich auf eine weitere Gefahr aufmerksam: Je öfter ich reise, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich mein zu Hause und meine Freunde als Qual verstehe und nur darauf warte, endlich wieder die Segel zu spannen, um mich in neue Abenteuer zu stürzen. Außerdem kann es passieren, dass meine Persönlichkeit sich verformt, mein Verhalten sich ändert und ich mich an den Orten ausgestoßen fühle, welche mir früher Geborgenheit versprachen.

Doch auch jetzt ändere ich meine Meinung nicht. Ich besitze weder Heimat, noch Freunde; weder eine Familie, die mir etwas bedeutet, noch eine Persönlichkeit, um die es schade wäre. Ich sage es ihnen und sie glauben mir.

 

Das Reisen beginnt an meist traditionellen Stellen, irgendwelchen Hausecken, Hinterhöfen, dem eigenen Zimmer, wobei man in den meisten Fällen darauf achtet, dass niemand dabei zusieht. Es wird von dem sozialdurchschnittlichen Teil des Umfeldes nicht gern gesehen, nur meistens ist das ungerechterweise gerade der Teil, der keine Probleme hat sich durchs Leben zu schlagen. Das Gesetz verbietet Reisen dieser Art, ist aber nicht wirklich in der Lage, sie einzuschränken. Ab und zu hört man entfernt von Freunden, die erwischt worden sind, aber sie stellen eine Ausnahme dar. Uns erwischt keiner.

 

Eine derartige Reise ist mit einer langen Zugfahrt vergleichbar, bei welcher man aus dem Fenster blickt und langsam merkt wie sich die Umgebung verändert, mit dem einzigen Unterschied, dass es bei uns viel schneller geht, schneller noch als ein Flugzeug fliegen kann und, dass wir in der Lage dazu sind, an Orte zu gelangen, die man mit einem konventionellen Transportmittel niemals erreichen kann. Der einzige Vorteil eines Zug- oder Flugtickets: Man weiß, wo und wie man dort ankommt. Das Wann spielt hingegen keine so große Rolle. Zeit ist nicht wichtig, sie wirkt verschwommen, surreal und unberechenbar, ähnlich wie das Umfeld und die gesamte Atmosphäre. Die wesentliche Problematik liegt hierbei darin, dass man nicht genau weiß, wann es Zeit ist umzukehren. Andererseits ist man selber sowieso nicht dazu in der Lage den Zeitpunkt der Rückkehr zu bestimmen, was einen leider auch daran hindert, von einem Ort zu verschwinden, der einem möglicherweise nicht so gut gefällt, ja sogar beängstigend wirkt.

Diese Abenteuer können durchaus gefährlich werden, das streitet keiner ab.

 

Wir haben beschlossen, diesmal alle zusammen abzureisen, auch wenn wir wissen, dass es mehr als unwahrscheinlich ist, dass wir uns an unserem Ziel wiedertreffen. Wir tarnen das Ritual als Feier im engeren Kreise und setzen uns zusammen in den Keller eines Freundes. Zuerst reden wir noch viel über andere Dinge, wollen uns gegenseitig davon überzeugen, dass wir nicht gekommen sind um zu reisen, sondern einfach nur um Spaß zu haben. Die Tarnung als Feier gilt nämlich in Wirklichkeit nicht nur der unwissenden Außenwelt, welche aus konsequenten Gründen nichts davon wissen sollte, sondern vor allem auch uns selbst, da wir uns insgeheim nicht zugestehen wollen, dass in Wahrheit doch der einzige Grund unseres Beisammenseins egoistischer Natur, und mit unserer sozialkritischen Einstellung keineswegs zu vereinbaren, ist.

Nach schätzungsweise zwölf Minuten können wir nicht länger warten. Einer ergreift die Initiative und beschließt, dass es langsam Zeit sei, »sich auf den Weg zu machen«. Keiner widerspricht, wir erheben uns lautlos und hüllen unser beschämendes Verlangen in Schweigsamkeit und schimärische Ruhe, während wir innerlich vor Vorfreude beben.

Die Reise beginnt...

(c) by Philemon